Ein Sound, bei dem die Zeit stehenbleibt
Die Schweden Then Comes Silence haben sich 2012 in Stockholm gegründet und erforschen seitdem die dunkle musikalische Schnittmenge zwischen Gothic und Post Punk. Ihr aktulles Album Trickery ist schon das siebte und stammt aus dem Jahr 2024. Mit ihrer umfangreichen Discographie und nicht zuletzt zahlreichen Festival-Auftritten haben sie sich eine treue Fangemeinde erspielt. Den letzten Auftritt in München vor einer halben Ewigkeit hatte ich seinerzeit leider verpasst, nur beim WGT 2018 hatte ich bislang einmal das große Vergnügen. Höchste Zeit also, um das Gehirn mit neuen Live-Eindrücken zu füttern.
Als wir gegen 19 Uhr am Backstage ankommen, werden wir von einer endlosen Einlassschlange voller minderjähriger Teenager überrascht, die allesamt ins Werk wollen. Zum Glück müssen wir in den Club und können einfach vorbeigehen, verfolgen das Treiben am Einlass vom Werk aber mit Neugier. Die Kids pressen sich aneinander, jede*r will ganz vorne sein. Plötzlich schreien alle “Bobby! Bobby!”, da ist er drinnen wohl mal kurz durchs Bild gelaufen. Gemeint ist damit Bobby Vandamme, der mit Jean-Claude vermutlich nicht verwandt ist. Ein Star auf Tik Tok, wie uns Google verrät. Als sich die Türen schließlich öffnen, werden die Ordner von der ersten Welle einfach überrannt. Sie haben keine Chance. Erst danach gelingt es, etwas Ruhe und Ordnung in die Einlasskontrolle zu bringen. Wir schauen uns achselzuckend an und gehen ganz ohne Stress in den Club. Hier gibt es noch den auffallend schönen Merch zu bewundern, während das Publikum langsam zahlreicher wird. So gut wie alle kommen in Schwarz, einige sogar mit opulentem Gothic-Make-Up. Das macht Lust auf mehr.
Fast pünktlich um 20:10 betreten Then Comes Silence die Bühne. Gitarrist Hugo Zombie (früher bei den spanischen Death Rockern Los Carniceros Del Norte) ist am auffälligsten mit seiner weißen Joker-Schminke, die ein wenig an Monkey von The Adicts erinnert, auch die rot-schwarze Streifenhose passt dazu. Sänger und Bassist Alex Svenson trägt eine weiße Röhre zur schwarzen Lederjacke, nur Drummer Jonas Fransson ist bequem in klassischem Schwarz gekleidet. Sie eröffnen ihr Set mit „She loves the night“, das direkt dark und gothic ausfällt und damit die weitere Richtung des heutigen Abends vorgibt. Anschließend wendet sich Alex an die Anwesenden: „Welcome München! We’ve been here ten years ago, so it’s been a long time.“ – „Welcome back!“ ruft jemand spontan dazwischen. „Yeah, finally we’re back!“ ruft Alex und leitet dann „Dark end“ ein. Die Band gibt sich ganz dem Song hin und erschafft so eine intensive schwelgende dunkle Atmosphäre, wofür sie vom gotischen Publikum mit Applaus bedacht wird. “Thank you! You may come closer! Maybe you take one more step.” Das fruchtet und schafft mehr Nähe. “Thank you, now we can see you.” Damit ist alles vorbereitet für “We lose the night”, das die ersten auch zum Tanzen animiert. Nun muss Alex schnell die Batterien für das In-Ear-Monitoring wechseln, was wahrscheinlich kaum jemand bemerkt hat. Im Anschluss bricht bei “Flashing pangs of love” endgültig das Eis. Der Song wird mit extra viel Drive gespielt, und das bringt Bewegung ins Publikum, die Hugo ohnehin die ganze Zeit vorlebt. Außerdem gibt es nun extra Applaus. Für “Like a hammer” begibt sich Alex direkt an die Bühnenkante. Ein Fan nutzt das aus und trommelt den Rhythmus auf dessen Schuhspitzen mit, wovon Alex sich aber ganz routiniert nicht ablenken lässt. Begeisterung trägt eben manchmal merkwürdige Züge. “This is a new song called ‘In your name’. We haven’t played it before so in this tour it’s a premiere.” Sicherheitshalber legt er noch ein Textblatt aus, das er aber dann doch nicht benötigt. Der Song kommt gut an im Club, und dafür gibt es eine kleine Überraschung, denn es ertönt typische Kirmesmusik vom Band. “On this tour we have something called spinning wheel.” – “Spin it, baby!”, ruft jemand dazwischen. Gesagt, getan, und als Ergebnis aus mehreren möglichen Titeln erscheint “Worm”, was aber ein Stöhnen in der Menge hervorruft. “Don’t you know it?”, fragt Alex. “You want another song?” Also wird noch einmal gedreht, und die Scheibe pendelt sich neu ein. “You know that song!”, grinst Alex. “‘Good Friday’!” Sehr atmosphärisch geht es nun musikalisch zurück in die Gruft, was anschließend mit begeistertem Jubel honoriert wird. Jonas kramt eine Fernbedienung hervor und wechselt das Licht seiner Drums von weiß auf rot, um die Atmosphäre zu unterstreichen. Und davon bietet “Mercury” nach einem tollen Intro mit Cowbell-Unterstützung jede Menge. Then Comes Silence entfachen hier einen magischen Sound, bei dem einfach die Zeit stehenbleibt.
Doch auch das folgende “Ride or die” steht dem in nichts nach, und für den Beifall bedankt sich Alex: “Thank you! You’re beautiful!” Nun folgt auch noch ”Warm like blood”, mein Lieblingssong. Mehr Goth geht kaum, und das rote Licht passt einfach perfekt. Dafür gibt es sogar “Bravo!”-Rufe. Ein Intro voller Geräusche kündigt schließlich das schöne “Animals” an. Anschließend legt Alex seinen Bass weg und stellt sich den Mikroständer ans Keyboard, dessen Holzkorpus vorn mit einer Szene scheinbar aus dem Rattenfänger von Hameln bemalt ist. “Feed the beast” fällt spielerisch und deutlich experimentell aus, was lautstark honoriert wird. Mit seinem “Dankeschön, äh, thank you” fühlt Alex sich scheinbar etwas aus dem Konzept gebracht. Dafür springt Jonas schnell ein: “The next song ist different than normal. It’s a remix made by Hugo Zombie!”, der Angesprochene grinst ins Publikum. “We like to play it that way”, fügt Alex hinzu. Die unterkühlte Stimmung, die die neue Version von “Blood run cold” beinhaltet, gefällt mir richtig gut. Im Anschluss gerät “Rise to the bait” quasi sogar zu einer Hymne, darauf gibt’s eine verdiente kurze Bierpause, gefolgt von dem ruhigen und schönen “Strange kicks”. Im Kontrast dazu rockt “Blind eye” ordentlich. Alex spielt mittlerweile wieder den Bass und stellt sich noch einmal an den Bühnenrand. Dieses Mal sieht er den Fan von vorhin schon kommen und springt rechtzeitig zurück, bevor dieser seine Schuhe anfassen kann. Außerdem holt er einen großen Sack und befördert damit jede Menge rote Luftballons ins Publikum, fast wie beim Bällebad im IKEA. Die Menge zu hat ihren Spaß damit, und passend dazu steigern Then Comes Silence die Intensität, bis alles in einer großen Lärmorgie endet. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, und der Hit “Strangers” lässt weiterhin im Partymodus verweilen. Hugo macht sogar mitsamt Gitarre einen Ausflug ins Publikum. Doch dann verabschieden sie sich unter lautstarkem Applaus: “Thank you so much, Munich! Dankeschön!” Alex wirft ein paar Küsschen und verbeugt sich, Jonas und Hugo winken.
Aber so leicht kommen sie heute natürlich nicht davon, denn die Münchner*innen fordern energisch Zugaben. Schließlich kehrt die Band zurück und Alex meint: “I don’t use the spinning wheel this time, we leave it in the dark.” Doch dann wird gemeinsam umentschieden, aber zweimal in Folge heißt es “Good Friday”, das ja schon vorhin gespielt wurde. Dann kommt “Worm”, das nun also doch noch gespielt wird und sich durch schwere unheilvolle Riffs auszeichnet. Einmal wird noch gedreht, und das sich erneut androhende “Good Friday” bekommt von Alex noch einen kleinen Schubser. Damit landen wir bei “Tickets to funeral”, und er erklärt: “OK, now it’s the last one. Thank you for coming! Thank you, Munich, see you soon! Take care!” Ein letztes Mal lassen wir die Musik auf uns wirken, bevor die Band nach ziemlich genau neunzig Minuten gebührend verabschiedet wird. Nach kurzer Pause erscheinen sie aber am Merchandise-Stand und stehen fannah für Autogramme und Selfies bereit. Draußen wartet noch eine kleine Überraschung, denn das große Finale von Bobby Vandamme läuft noch im Werk bei offenen Türen. Das, was zu sehen und zu hören ist, ist eine Art Ballermann-Hip-Hop-Techno für eine andere Generation. Not quite my cup of red wine.
Fazit: Das ist ein äußerst gelungener Gothic-Abend, bei dem Then Comes Silence ein langes Set quer durch ihre Discographie präsentieren. Die Band hat spürbar Bock, und das überträgt sich auch ins Publikum. Der Sound ist heute leider nicht super optimal und teils etwas verwaschen, besonders der Gesang hätte etwas klarer im Vordergrund stehen sollen. Aber sei’s drum, der Spielfreude von Then Comes Silence tut das keinen Abbruch und der Stimmung im Publikum ebensowenig. Bis zur nächsten Show dauert es hoffentlich nicht wieder so lange.
Setlist:
She loves the night
Dark end
We lose the night
Flashing pangs of love
Like a hammer
In your name
Good Friday (spinning wheel)
Mercury
Ride or die
Warm like blood
Animals
Feed the beast
Blood run cold (H Zombie Remix)
Rise to the bait
Strange kicks
Blind eye
Strangers
–
Worm (spinning wheel)
Tickets to funeral (spinning wheel)
Bilder: torshammare
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