Boa Lugosi’s dead

Zu Phillip Boa and the Voodooclub könnte man unendlich viel schreiben, muss man aber gar nicht. Wer sich auch nur am Rande mit der Indie-Wave-Szene der letzten dreißig Jahre beschäftigt hat, kommt um Boa sowieso nicht herum. Wer ist nicht schon zu Jugendzentrumszeiten zu „Container love“ oder „And then she kissed her“ über die Tanzfläche gehopst (oder tut das auch heute noch sehr gern), wer hat nicht schon die Nackenmuskeln bei „Albert is a headbanger“ strapaziert oder bei „Fine art in silver“ geträumt. Doch Boa hat natürlich nicht nach den großen Hits aufgehört, gute Musik zu machen, die Qualität seiner Alben ist bis heute ungebrochen hoch. Im Herbst 2016 hat er mit Blank Expression – A History of Singles 1986-2016 ein Best-of-Album veröffentlicht, das aber natürlich nicht nur eine schnöde Zusammenstellung der alt- und neubekannten Hits ist, sondern darüber hinaus auch noch zwölf neue Songs enthält (Fresco – A Collection of 12 New Songs). Ein hervorragender Anlass, um auf Tour zu gehen und die beinharten Fans vor die Bühne zu rufen!

P1080146Diesem Ruf folgen in München dann auch gleich so viele Menschen, dass das Strom schließlich „Ausverkauft“ meldet. Wer das Strom kennt, weiß, wie voll der Club dann ist, selbst Boa lässt sich später zu einer Bemerkung hinreißen: „Was man hier in München in die Clubs reinschiebt!“ Luft ist Mangelware, Klo, Bar und Garderobe sind unerreichbar, aber dafür ist eine Bombenstimmung garantiert. Pünktlich um neun geht es mit einem etwas unerwarteten Intro los – es schallt nämlich die düster-schaurige Eröffnungssequenz zu „Bela Lugosi’s dead“ von Bauhaus aus den Lautsprechern, was allerdings beim Publikum noch keine Jubelstürme hervorruft. Die kommen erst, als der Meister mit Band die Bühne betritt. Boa hat sich die letzten zwanzig Jahre kaum verändert. Schwarzer einreihiger Anzug und dazu die für ihn typische kinnlange Pagenkopffrisur, man erkennt ihn sofort wieder. Trotz der Hitze wird er die Jacke während des gesamten Konzerts nicht ausziehen, Style ist eben alles. Die Band legt gleich mal zackig mit „Kill the future“ los. Die ersten tanzen sich schon warm, das ist auch gut, denn mit „Fine art in silver“ wird die Textsicherheit der Anwesenden auf die Probe gestellt. Die ersten glückseligen Gesichter sind zu sehen, die Menge wogt und pogt schon ziemlich, und das soll sich bei den nachfolgenden Hits auch kein bisschen ändern. Etwas ruhiger wird es erst bei „This pain“, einem wunderschönen neuen Song, der allerdings ein wenig mehr Reaktion verdient hätte.
Mrs. Hyde: Vielleicht ist das Publikum aber auch noch ein wenig verunsichert, denn bei diesem Song will neben mir ein Fan eine Handyaufnahme machen, was Boa allerdings bemerkt. Er tritt auf ihn zu und schwingt bedrohlich seine Gitarre, ich fürchte schon, in sein Gesicht, und ducke mich weg, dann brüllt er aber doch nur ein wütendes „Fuck you!“ Nicht nur der Filmer hat sich da wohl erschrocken …

Danach geht’s glücklicherweise mit bekanntem Liedgut weiter, das melancholische „Til the day we are both forgotten“ und „Love on sale“ (mit beeindruckendem Solo der beiden (!) Drummer) zaubern wieder ein Lächeln auf die Gesichter der Anwesenden, und die Temperatur im Raum steigt noch mal ein wenig bei den nachfolgenden Songs. Ruhe kehrt erst wieder ein, als das von Boa als „ungeliebt bei den Fans“ angekündigte, aber wirklich wunderschöne „Rome in the rain“ erklingt. Die Verschnaufpause ist allerdings nur kurz, bei „Twisted star“ und vor allem „Albert is a headbanger“ werden alle Kräfte mobilisiert, die linke Raumhälfte kocht und brodelt und ist jetzt richtig warmgemosht, denn die Gitarren entfachen eine brettharte Metalwand. Zartere Töne gibt es bald darauf mit „Atlantic Claire“ zu hören, das hauptsächlich vom weiblichen Neuzugang in der Band gesungen wird, der großartigen und zauberhaften Thari Kaan. Wer wie ich diese Frau noch nicht kannte, sollte sich den Namen unbedingt merken. Wunderschöne Stimme, riesiges musikalisches Talent (Gitarre, Drums – egal, geht alles) und eine Wahnsinnsausstrahlung, ein echter Gewinn für den Voodooclub. Überhaupt ist die Band von Boa wirklich ganz hervorragend, neben Thari und auch den beiden Drummern sticht der neue Bassist Thilo Erhardt absolut hervor.
Phillip Boa selbst ist nach anfänglicher Angespanntheit auch voll und ganz im Konzert angekommen, lässt sich zu kleinen, scherzhaften Wortgefechten mit den ersten Reihen hinreißen, tanzt ekstatisch über die Bühne und stärkt sich hin und wieder mit einem beherzten Schluck aus der Rotweinpulle.
IMG_3133„And then she kissed her“ beschließt, dank Thari Kaans Stimme zum Sterben schön, den regulären Konzertblock, und mit den schlichten Worten „Danke, ich liebe euch.“ verlässt der Meister die Bühne. Die kurze Pause bis zur ersten Zugabe hätte man sich allerdings auch sparen können – es fehlen ja sowieso noch diverse Lieder. Folgerichtig gibt es dann auch noch eine Auswahl hochkarätiger Songs zu hören, „I dedicate my soul to you“ oder „Death is a woman“. Bei „Container love“ spricht Boa zunächst auf den Knien leise flüsternd das Intro, und das Publikum spricht lauthals mit, bis der Song explodiert und sich alle in den Armen liegen. Als die zweite Zugabe mit „This is Michael“ und dem unsterblichen „Kill your ideals“ den finalen Abriss einläutet, tropft der Schweiß von der Decke. Wer noch pogen kann, tut das, alle anderen singen wenigstens mit letzter Kraft zur Extended Version von „Kill your ideals“ mit. Danach haben alle fertig, Band und Publikum.

 

Trotz der wirklich anstrengenden räumlichen Enge und der schlechten Luft war’s ein fantastisches Konzert mit einer feinen Best-of-Setlist und neuen Songperlen, hervorragender Stimmung und einer sichtlich spielfreudigen Band. „Auf euch, war schön“, sagt Herr Boa zum Abschluss, und da hat er völlig recht.
An der Bushaltestelle draußen vor dem Strom findet man anschließend durchgetanzte Schuhe und ein schweißnasses Hemd, Sinnbild eines geilen Konzerts, so muss eine Show sein.

Boa Lugosi’s dead? Nein, noch lange nicht, das hat er heute eindrucksvoll bewiesen.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist:

Intro – Bela Lugosi’s dead
Kill the future
Fine art in silver
Annie flies the lovebomber
Get terminated!
This pain
Til the day we are both forgotten
Love on sale (mit Solo der beiden Drummer)
Kill your vacation
Deep in velvet
Bells of sweetness
Rome in the rain
Twisted star
Albert is a headbanger
Standing blinded on rooftops
Speed
Atlantic claire
Against the sun
And then she kissed her

Death is a woman
I dedicate my soul to you
Diana
Container love

This is Michael
Kill your ideals

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