Eiskalte Raserei und tiefe Emotionen

Das Konzertjahr 2017 war lang, ereignisreich und ganz bestimmt nicht arm an Highlights. Eigentlich könnte man sich jetzt zurücklehnen, alle besonderen Momente Revue passieren lassen und sich langsam von Lebkuchen und Heißgetränken einlullen lassen. Doch nein, bevor es zu besinnlich wird, gibt es noch einen Pflichttermin zu absolvieren, den vielleicht sogar musikalisch wichtigsten und spannendsten und ganz sicher schwärzesten: Gaahl hat wieder Lust auf Black Metal und wird mit seiner neuen Band Gaahls WYRD seine Vision absoluter Dunkelheit auf die Menschheit loslassen. Was man ganz genau zu erwarten hat, ist im Vorfeld nicht klar, aber das ist völlig egal, Gaahls Ruf wird gefolgt (was in sich paradox ist, aber dazu später mehr). Als weitere Bands sind auf dieser Tour zwei hochmoderne Vertreter des Schwarzmetalls vertreten, die Franzosen The Great Old Ones sowie die isländischen Durchstarter von Auðn. Spannender wird’s nicht, also ab ins Backstage.

DSC_5371So richtig voll ist es bei Auðn noch nicht in der Halle, aber davon lassen sich die fünf coolen Isländer in ihren schwarzen Sakkos überhaupt nicht beeindrucken, sondern entfesseln ab dem ersten Ton ein wahres Soundinferno, das trotzdem immer noch filigran und abwechslungsreich rüberkommt. Kollege Yggdrasil hat die vor kurzem erschienene zweite CD Farvegir fyrndar (etwa „Flussbetten aus der Vorzeit“) ordentlich abgefeiert, ich konnte mit dem auf epische Breite ausgelegten und recht melodiösen Post-Black-Metal auf Konserve nicht so viel anfangen. Umso platter bin ich jetzt von der ungebremsten, aber dennoch kontrollierten Wucht, mit der uns die Songs um die Ohren gepeitscht werden, und der zutiefst isländischen Atmosphäre, die dadurch heraufbeschworen wird. Landschaftliche Weite, aber auch Härte, die Schönheit der Natur und Melodien, die einen tief aufseufzen lassen, überaus versiert und leidenschaftlich auf die Bühne gebracht. Mehr Metal und weniger Post klingen Auðn live, und das ist gut so. Ansagen gibt es kaum, zwischendurch stellt Sänger Hjalti die Band knapp mit „Við erum Auðn frá Íslandi“ vor, und nur gelegentlich gibt es einen Songtitel zu hören. Die Setlist speist sich weitestgehend aus Farvegir fyrndar, hier stechen vor allem die Brecher „Prísund“ und „I hálmstráið held“ hervor. Irgendwann neigt sich der Auftritt dem Ende zu, man schnappt nach Luft und taucht langsam wieder aus dieser musikalischen Traumwelt auf, in die man von den fünf Isländern hinabgezogen wurde. Ein weiterer Beweis, dass von der kleinen Insel nur höchst talentierte Menschen zu kommen scheinen (sei es nun als Schriftsteller, Regisseur, Musiker oder Fußballer). Die auch noch extrem nett sind und sich später am Merch-Stand aufmerksam und freundlich mit den Fans unterhalten. Takk fyrir, strákar, für Autogramme und Gespräche!

DSC_5440Danach kann es eigentlich nur langweiliger werden, und zumindest in meinen Augen und Ohren wird es das leider auch, als The Great Old Ones auf die Bühne kommen. Da hilft weder das übergroße Porträt von H. P. Lovecraft als Backdrop noch die Cthulhu-Skulptur am Bühnenrand, auch nicht die einheitliche Kapuzengewandung der fünf Franzosen im düster-schaurigen Schummerlicht. Das Gesamtkonzept der Band – selbst der Bandname ist dem Lovecraft-Kosmos entlehnt – hat definitiv etwas für sich, musikalisch schwimmt man für meinen Geschmack zu sehr im zurzeit so beliebten Post-Black-irgendwas-Strom mit. Vorgetragen wird das alles versiert und engagiert, keine Frage, mich erreichen die langen, weitgehend instrumental gehaltenen Songs, bei denen sich Benjamin Guerry und Jeff Grimal den Gesang teilen, leider nur mäßig. Zu ähnlich wie Auðn klingt der Sound, aber ohne die eigene Note. Vielleicht bin ich aber auch zu wenig Fan von Post Black Metal, das gebe ich unumwunden zu. Das Publikum in den vorderen Reihen feiert die Franzosen und ihre Songs, die von den drei bisher veröffentlichten Alben EOD – A tale of dark legacy, Tekeli-li und Al Azif stammen, jedenfalls ordentlich ab.

Danach beginnt das Warten auf einen der kontroversesten, geliebtesten und gefürchtetsten Männer der norwegischen Black-Metal-Szene. Seine frühere Band Gorgoroth zählte zu der Zeit, als er am Mikro stand, zu den mit Abstand bösesten Black-Metal-Bands der zweiten Welle, legendär sind die Shows mit Tierkadavern und viel Blut. Dieser Band hat man abgenommen, dass sie es ernst meint, was zum großen Teil auch mit Gaahls Ausstrahlung zu tun hatte. Auch um ihn als Privatmann ranken sich viele Gerüchte und Abgründe, man erzählt sich von seinen Gefängnisaufenthalten, den gewalttätigen Übergriffen auf andere, die dazu geführt haben; außerdem gibt es die mittlerweile legendäre Dokumentation über ihn, in der ihn ein Kamerateam in seinem Heimatort Espedal in der norwegischen Einsamkeit besucht und tagelang interviewt – nicht immer geglückt. Doch der Zuschauer versteht immerhin, was für ein hochkomplexer, in sich gekehrter und nachdenklicher Mensch Gaahl ist, dessen Meinungen man nicht immer teilen muss, die aber ehrlich und durchdacht präsentiert werden. So lehnt er es zum Beispiel kategorisch ab, eine Art geistiger und spiritueller Führer zu sein, dem die Menschen folgen, jeder soll sich seine eigenen Gedanken machen und danach handeln – und trotzdem verehren ihn so viele. Mit diesem Paradoxon muss er wohl leben.

DSC_5591In den letzten Jahren hat sich Gaahl live sehr rar gemacht, und es sah auch lange nicht danach aus, als hätte er je wieder Lust auf Black Metal. Mit seinem Ausstieg bei God Seed und der Konzentration auf Wardruna hatte er offiziell seinen Abschied aus der Szene verkündet. Nachdem er 2014 allerdings auch Wardruna verließ, durfte man gespannt sein, wo es ihn als Nächstes hinziehen würde. Mit Gaahls WYRD (germanisch für „allgemeines Geschick“, „Schicksal“) hat er nun wieder eine Band, Material gibt es allerdings noch keines. Das Live-Erlebnis verspricht aber natürlich dennoch hochinteressant zu werden, denn man munkelt, dass es eine Art „Best of Black-Metal-Gaahl“ geben wird, also mit Songs von Gorgoroth, God Seed und – wow! – Trelldom. Dementsprechend gespannt bin sicher nicht nur ich auf den unmittelbar bevorstehenden Auftritt. Dieser wird zuerst mit einem eindringlich gesprochenen Intro eröffnet, die Musiker stehen schon auf der Bühne, Gaahl folgt ihnen kurz darauf, und man merkt, dass er selbst schon die ganze Zeit die skandinavischen Worte (altnorwegisch?) vorgetragen hat. Die erste Gänsehaut ist garantiert! Dann steht er minutenlang ruhig da, schaut ins Publikum, in die Ferne, lässt sich von den sägenden Gitarren und dem Rhythmusteppich seiner Musiker tragen, bis mit „Steg“ eines seiner großartigsten Lieder ertönt. Ruhig gesprochene Lyrics, inmitten eines Mahlstromes aus Lärm, verfehlen ihre Wirkung nicht. Gänsehaut, die zweite! Mit „Til minne …“ und „Slave/Til den kommende natt“ folgen gleich zwei weitere großartige Songs seiner Band Trelldom, die zwischen 1995 und 2007 drei Perlen des rohen, klassischen Black Metals herausgebracht hat und deren Songs bis vor kurzem nie live aufgeführt wurden. Gänsehaut, die dritte! Nach dem Gorgoroth-Ausflug „Sign of an open eye“ werden uns mit „Awake“ und „Aldrande tre“ zwei God-Seed-Songs um die Ohren gebrettert (das Folgeprojekt von Gaahl und King ov Hell nach dem unseligen Gerichtsstreit mit Infernus um den Namen „Gorgoroth“), die sich gewaschen haben. Wer jetzt noch nicht im Konzert angekommen ist und völlig darin aufgeht, ist hier heute falsch. Die Band – bestehend aus Sir, Lust Kilman, Eld und Baard Kolstad (der auf dieser Tour allerdings aus Zeitgründen vertreten wird), also großteils alten Wegbegleitern – ist hervorragend eingespielt und liefert eine super Show, Posen, Pommesgabel und Corpsepaint inklusive. Gaahls stimmliche Leistung ist ebenfalls beeindruckend, während er auf der Bühne gleichzeitig wie der Einzelgänger wirkt, der er (vermutlich) auch im echten Leben ist. Zwar oft mit den anderen Musikern am Bühnenrand, doch insgesamt versunken in seiner Welt, seinen Gedanken, seinen Emotionen. Man merkt, für ihn ist das nicht nur Show, sondern echtes Erleben. Er nimmt dabei aber auch oft auf seine ernste Art Kontakt zur ersten Reihe auf, berührt die Finger, die ihm entgegengestreckt werden, und schüttelt später auch zahlreiche Hände – lang anhaltend und mit tiefem Blick in die Augen (Gänsehaut, die drölfzehnte).
Rasant und garstig geht es weiter auf der musikalischen Reise durch das Œvre von drei Bands, auf „Høyt opp i dypet“ (Trelldom) und „Carving a giant“ (Gorgoroth) folgt ein langer God-Seed-Block, der vielleicht weniger bekannt als die großen Songs ist, aber dennoch seine Wirkung nicht verfehlt. Beim Klassiker „Incipit Satan“ (Gorgoroth) steigt die Stimmung im Raum allerdings doch noch mal merkbar an, ebenso wie bei den drei letzten Songs „Exit/Through carved stones“, „Wound upon wound“ und „Prosperity and beauty“. Man ist wohl doch mit den alten Gorgoroth-Sachen am vertrautesten, ich persönlich freue mich über viel Trelldom-Material (z. B. „Sannhet, smerte og død“ und „Til et annet …“).
Vor allem freue ich mich aber über einen unglaublich guten Auftritt einer Szenelegende, quasi eine Lehrstunde in Sachen eiskaltem, klassischem norwegischem Black Metal. Ohne Nieten- und Stachelarmbänder, ohne Tierschädel, ohne all die Attribute, die für einen echten BM-Auftritt unerlässlich scheinen, wird hier rein durch Persönlichkeit und ein bisschen Corpsepaint eine geradezu mystische, zeremonielle Atmosphäre erzeugt, die noch lange in mir nachhallen wird. Dass Gaahl später völlig unzeremoniell und überaus höflich und freundlich mit seinen Fans für Fotos posiert und bereitwillig alles signiert, was man ihm unter die Nase hält, rundet diesen beeindruckenden Abend überraschend, aber gebührend ab.

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Setlist Gaahls WYRD
1. Steg
2. Til minne
3. Slave/Til den kommende natt
4. Sign of an open eye
5. Awake
6. Aldrande tre
7. Høyt opp i dypet
8. Carving a giant
9. From the running of blood
10. LIT
11. Alt liv
12. This from the past
13. Incipit Satan
14. Sannhet, smerte og død
15. Til et annet
16. Exit/Through carved stones
17. Wound upon wound
18. Prosperity and beauty

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