Tränen und Träume

Es ist Sommer, es ist heiß, es ist Zeit für Free & Easy im Backstage. Wie jedes Jahr schnürt das Münchner Wohnzimmer von Metallern, Indies, Hardcore- und sonstigen alternativen Leuten ein fettes zweieinhalbwöchiges Paket mit täglichem Bandprogramm auf vier Bühnen, Filmen, Vorträgen, Biergarten und generell geselligem Zusammensein. Für umme – außer man möchte auf Nummer sicher gehen und zu einem Konzert im Werk unbedingt eingelassen werden, dann kann man sich ein (immer noch sehr moderat teures) Reservierungsticket inklusive Getränkegutscheinen holen. Damit unterstützt man auch das Backstage für seine ganze Arbeit. Das Free & Easy ist also eine unglaublich coole Sache und wird zum Glück auch immer sehr engagiert angenommen. Heute Abend soll sich das Werk schwarz färben, Lacrimas Profundere und Diary of Dreams werden uns in düstere Welten entführen. Also Fächer einpacken und ab in Münchens größte Sauna.
DSC8034Die beinharten Fans stehen natürlich schon vor offiziellem Einlass an, danach füllt sich das Werk allerdings erstaunlich schleppend. Es ist aber auch verflucht warm, da warten viele bis zur letzten Sekunde, bis sie sich in eine stickige Halle begeben (oder die erste Band gleich ganz ausfallen lassen). Trotzdem müssen die Dark Rocker/Metaller Lacrimas Profundere dann zum Glück nicht vor leeren Reihen auf die Bühne, die Truppe um Oliver Nikolas Schmid hat sich in den langen Jahren ihres Bestehens eine treue Fangemeinde erspielt, die über alle bandinternen Turbulenzen zu ihren Faves gehalten hat. Die Band kann nämlich mit Fug und Recht als Phönix bezeichnet werden, der immer wieder frisch erstarkt aus der Asche aufsteigt. Nachdem vor nicht allzu langer Zeit erst Sänger Rob, der immerhin zehn Jahre bei Lacrimas war, und dann schließlich die gesamte restliche Band den Hut nahm, musste Oliver mal wieder umdisponieren. Mit dem jungen Mexikaner Julian Larre hat er den perfekten Sänger für den Bandsound gefunden (düster und hart wie Lacrimas‘ erster Sänger Christopher), am Schlagzeug sitzt der Rückkehrer Dominik Scholz, und seit neuestem verstärkt Ilker Ersin die Band am Bass. Das neue Album Bleeding the stars fährt überall glänzende Reviews ein (Album des Monats im Metal Hammer!), und dementsprechend motiviert stürmt der Vierer dann auch die Bühne und legt gleich mal amtlich mit „Her occasion of sin“ und dem bekannten „Antiadore“ los. Julian rennt und springt über die Bühne wie ein Flummi, die Band agiert deutlich härter als in den letzten Jahren – schon ein Gegensatz zur bisherigen Besetzung und Live-Show, aber einer, der den Fans zu gefallen scheint. Mit „Dead to me“ und dem „Remembrance song“ wird das Antiadore-Album gleich noch mal bedacht, bevor es mit „Like screams in empty halls“ den ersten Song vom am heutigen Abend noch gar nicht offiziell erschienenen neuen Album zu hören gibt. Back to the roots heißt das Motto, also düster und hart, wie zu den Anfängen von Lacrimas. Julian springt immer wieder in den Graben und singt in der ersten Reihe oder stattet dank Funkmikro auch ganz anderen Ecken des Werks einen Besuch ab – wie einem Glühwürmchen kann man einem Licht am Mikro folgen, ihn selbst sieht man meistens gar nicht mehr. Zwischendurch erwischt man ihn aber auch mal auf der Bühne, auf der er Energie pur verbreitet, von der sich die beiden Herren an den Saiteninstrumenten ordentlich mitreißen lassen. Julian kann das Publikum mit zwar sehr rotzigen, aber immer leidenschaftlichen Ansagen auf seine Seite ziehen, statt „Tschöööörmääääny“ hätte es aber auch mal ein lautes „Munich!“ oder sogar „München“ getan. Egal, hier zählt ja auch die Musik, und die sitzt, wenn man auf richtig schön düsteren, schwermütigen Rock steht, der auch gern mal eine doomige Schlagseite haben darf. Auch „Celestite woman“ vom neuen Album kommt gut an, mir gefällt vor allem die neue Single „The kindom solicitude“, zu der es ein schönes, auf Island gedrehtes Video gibt. Julian growlt hier sogar, was mein Metallerherz doch sehr erfreut. Mit einem Block aus altbekannten Songs wie „My velvet little darkness“ oder „Ave end“ – haha – endet der energiegeladene Auftritt, aber natürlich gibt es noch eine Zugabe, einen weiteren neuen Song. „Father of fate“ dürfte alle Fans voll und ganz zufriedenstellen, und das Publikum wirkt auch mehr als angetan von diesem Konzert. Lacrimas sind (wieder mal) auf einem guten Weg.

Setlist Lacrimas Profundere:
1. Her occasion of sin
2. Antiadore
3. Dead to me
4. Remembrance song
5. Like screams in empty halls
6. Again it’s over
7. My release in pain
8. Celestite woman
9. To bleed or not to be
10. The kingdom solicitude
11. My velvet little darkness
12. The letter
13. Ave end

14. Father of fate

DSC8180Mittlerweile hat sich das Werk dann auch ordentlich gefüllt, auch wenn es gerade vor der Bühne sehr, sehr warm ist. Das ist auch quasi das erste, was Adrian sagt, als er zusammen mit Dejan am Schlagzeug und Hilger an der zweiten Gitarre nach vorne kommt. Warum er sich allerdings standhaft weigert, seinen langen, dicken Mantel auszuziehen, wird sein Geheimnis bleiben. Ein Ventilator auf der Bühne verhindert immerhin Schlimmeres, und die Haare fliegen schön malerisch. Ab dem ersten Ton von „Made in shame“ kocht die Halle, heute ist nur textsicheres Fanpublikum anwesend. „Epicon“ brät uns gewaltig eins über, „The wedding“ und „Malum“ kennt wirklich jeder, ebenso wie „Listen and scream“. Kaum eine Band aus dem Gothic-Bereich kann auf so viele prägende Songs und Hits zurückgreifen und muss sich einfach nur freundlich lächelnd auf die Bühne stellen (und hin und wieder augenzwinkernd ein bisschen über die Hitze jammern), um maximale Stimmung im Publikum zu erzeugen. Ein Diary-Konzert ist für viele wie Heimkommen, und genau diese Atmosphäre herrscht vor allem in den Reihen vor der Bühne, aber auch bis weit hinten Richtung Bar tanzen die Leute (da hängt auch ein großer Ventilator, der unser Überleben sichert). „Giftraum“ giftet herrlich aus den Lautsprechern, und den darauffolgenden Song „kennt ganz bestimmt keiner“ – eine glitzerkleine Untertreibung: „Traumtänzer“. Nach „King of nowhere“ wagt sich Adrian mal in den Graben, um die dortigen Temperaturen nachzuempfinden, flüchtet allerdings schnell wieder zurück auf die Bühne – hier wartet schließlich „The curse“. Schlag auf Schlag geht es weiter, der Schweiß fließt, die Kehlen werden wundgesungen bei „Soul stripper“ oder „Charma sleeper“, und nach „Endless nights“ trägt Adrian den Bühnenventilator an der ersten Reihe vorbei, um den Leuten eine kleine Erfrischung zu verschaffen. Die Hitze in Südamerika sei ja ein Dreck gegen das hier heute gewesen, meint er noch sinngemäß – während er natürlich weiter den schicken Mantel trägt. Chapeau, wirklich, es muss glühendheiß unter dem Stoff gewesen sein. Auch Hilger schaut zwischendurch ein bisschen gequält, was nur zu verständlich ist. Musiker und Fans werden aber von den bekannten und geliebten Songs getragen, dem unsterblichen „Butterfly: Dance!“ oder „Kindrom“. Die Kraft reicht bei allen Beteiligten auch noch für zwei Zugaben, denn vor allem „Undividable“ darf natürlich nicht fehlen.

Lacrimas Profundere haben bewiesen, dass man sich als Band auch zum x-ten Mal umorientieren und Großes abliefern kann. Diary of Dreams haben uns mal wieder auf eine wunderbar dunkle Reise voller Hits mitgenommen. Ein Abend, der den Amphi-Blues gut abgefedert und so einen schnöden Dienstag doch sehr viel erträglicher gemacht hat. Schön war‘s!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Diary of Dreams:
1. Made in shame
2. Epicon
3. The wedding
4. Malum
5. Listen and scream
6. Giftraum
7. Traumtänzer
8. King of nowhere
9. The curse
10. Soul stripper
11. Sinferno
12. Charma sleeper
13. Chemicals
14. Endless nights
15. Butterfly: Dance!
16. Decipher me
17. Kindrom

18. The plague
19. Undividable

20. She and her darkness

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