Zwischen Himmel und Hölle

Ich möchte euch heute ein englisches Weihnachtslied vorstellen, das in Deutschland nicht so häufig zu hören ist, während es im englischsprachigen Raum fest im traditionellen weihnachtlichen Brauchtum verankert ist. Damit ist klar, Wham ist schon mal raus, keine Sorge. Es handelt sich um den Choral „God Rest You Merry, Gentlemen“, manchmal auch mit „ye“ statt „you“ geschrieben und auch bekannt unter „Tidings Of Comfort And Joy“.

Die älteste mir bekannte Aufnahme unter The Carol Singers stammt von Edison Records aus dem Jahr 1917, aber am bekanntesten ist hierzulande dank diverser Weihnachts-Sampler wohl die 1945 von Bing Crosby aufgenommene Version, gefolgt von Nat King Cole 1960. Aber natürlich ist dieses Volkslied viel älter, der Ursprung wird im 15. oder 16. Jahrhundert vermutet. Aber erst 1760 ist es nachweisbar das erste Mal gedruckt worden und fand seitdem immer mehr Verbreitung. Auch Charles Dickens zitiert in seiner Weihnachtsgeschichte A Christmas Carol von 1843 das Lied.
Das erste Mal bewusst wahrgenommen habe ich „God Rest You Merry, Gentlemen“ 1988 in einer synthiepoppigen Version von Erasure, die für sie typisch ist. Die besondere Melodie ist mir sofort im Ohr hängengeblieben, weicht sie doch stark vom meist getragenen Charakter deutscher Weihnachtslieder ab. Erst Weihnachten 1995 ist mir das Lied bei meiner Schwester wieder begegnet, die die Weihnachts-EP A winter garden von Loreena McKennit aus den USA mitgebracht hatte. Natürlich habe ich ihre Engelsstimme sofort erkannt, und diese Stimme in Kombination mit der zarten Percussion hebt den Song auf eine absolut sphärische Ebene. Von da an habe ich regelmäßig neue Interpretationen verfolgt. Es gibt natürlich unzählige Versionen, auch popgeprägte wie von Mariah Carey oder Pentatonix. Aber am interessantesten finde ich dann doch diejenigen, die vom klassischen Weihnachtslied-Schema abweichen, und somit präsentiere ich euch meine persönliche Auswahl.

Angelo Kelly (ja, der von der Kelly Family) zeigt sich stark irisch beeinflusst, was natürlich irgendwie zu erwarten ist. Überraschender ist da wohl die fröhlich beschwingte Jazz-Version von Jethro Tull. Die Mediaeval Baebes liefern eine ans Mittelalter erinnernde Version, und auch Annie Lennox hat den Song auf ihre spezielle Art stark mittelalterlich beeinflusst umgesetzt. Bad Religion punkrocken mit reichlich Tempo und viel Energie, und noch brutaler geht die Metalcore-Band August Burns Red zu Werke. Eine gleich dreifache Überraschung bietet die Band Kekal, denn sie stammen aus dem exotischen Jakarta, Indonesien, das eigentlich eher muslimisch geprägt ist, und ihre Version ist eine Art Experimental Black Metal. Auch im Gothic-Bereich lassen sich Umsetzungen finden, etwa mit viel Orgel-Bombast bei Nox Orcana oder eine Art obskurer Dark Wave von Anemia.
Als Hörbeispiele wähle ich den (fast) größtmöglichen Kontrast, quasi der ewige religiöse Kampf Gut gegen Böse, Himmel gegen Hölle, die Engelsstimme gegen den satanischen Musiker – sprich Loreena McKennit gegen Ronnie James Dio. Seine Aufnahme ist zwar von 2008, klingt aber irgendwie schwer nach den 1970ern und entbehrt auch nicht einer gewissen Komik. Aber keine Sorge, bei weitergehendem Interesse lassen sich alle genannten Songs bei Youtube finden.

 

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