Weihnachten im Woid

Es ist wieder soweit, fröhliche, fröhliche Weihnachtszeit.
Oba „Heidschi Bumbeidschi“ bum bum.

​Die liebe enchantress hat mich vor Jahren in dieser fröhlichen, fröhlichen Zeit gefragt, worum es da eigentlich geht und was dieser Heidschi Bumbeidschi im Schilde führt. Ich übersetzte ihr den ihrer Meinung nach schwedisch klingenden Text und kam zu dem Schluss, dass in diesem Wiegenlied ein Kindchen vom Tod geholt wird. Es folgte eine Diskussion darüber, warum das Weihnachtslieder-Repertoire aus dem Bayrischen Wald Lieder über den Kinder dahinraffenden Tod und im Schnee verwehte und ebenfalls dahingeraffte Leute enthält. Dies bestätigt mal wieder das alte Vorurteil, dass unser beschaulicher Freistaat, der ZDF-Prime-Time-Schnulzen und Provinzermittlern eine so urige, postkartentaugliche Kulisse bietet, am östlichen Rand doch eher eine 22:15 Uhr Gegend ist.

Bayerischer Wald 2

Quelle: www.bayerischer-wald.de

​Natürlich verirrt sich auch dahin ab und zu ein Tourist. Weil er sich beim Buchen so sehr über den Preis gefreut hat, dass ihm auf den Bildern der stets präsente Nebel entgangen ist. Oder weil er aus einer Gegend kommt, in der der Bayrische Wald als Gebirge gilt. Oder weil er bewusst nach der nebligen Ruhe und dem mystischem Hauch sucht. Diese Mystik wird in diversen Rauhnachtsveranstaltungen voller pelziger Gestalten auch geboten.

​Also erstmal Rauhnächte googeln. Das sind die Nächte im Jahr, in denen die Grenzen zum Geisterreich verschwimmen. Davon fallen – je nachdem, wen man fragt (oder liest) – einige, auf jeden Fall aber die Thomasnacht (21.12., die längste Nacht des Jahres), der Heiligabend, Silvester und Hl. Dreikönig, in unsere fröhliche Zeit.

Bayerischer Wald

Quelle: www.bayerischer-wald.de

​Ich fange also an, mich zu informieren (ja, erstmal auf Wikipedia) und stelle plötzlich fest: Das weiß ich schon! Und das nicht, weil ich´s irgendwann mal irgendwo gelesen habe, so wie man ab und zu eben irgendwo irgendetwas von Cthulhu liest, obwohl man um H.P. Lovecraft einen weiten Bogen macht. Ich weiß es, weil ich es einfach weiß, so wie man weiß, dass Bäume grün sind. Offensichtlich vermittelt einem eine Kindheit im Bayrischen Wald nicht nur grundlegende Kenntnisse über die Farbgebung der Vegetation (wenig überraschend), sondern auch das Wissen um Bräuche und Erscheinungen, die eigentlich mit dem Vormarsch des Christentums hätten aussterben sollen.

​Mir war zum Beispiel klar, dass man zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag keine Wäsche aufhängt, damit sich die Wilde Jagd nicht darin verfängt. Ich wusste nie, was die Wilde Jagd eigentlich ist, aber als ich auch hier die unendlichen Weiten des Internets bemühte, kamen mir einige der illustren Jagdgesellen sehr vertraut vor. Da ist der bluadige Dammerl, der ganz gern sein blutiges Bein zur Tür reinstreckt oder mit seinem Hammer ab und an auch mal Köpfe einschlägt. Eigenartige Mädels sind auch die Druden, die einem auf den Rücken springen und die Luft abdrücken. Und dann wäre da noch die liebe Luzia, häufig Hauptdarstellerin in meinen kindlichen Alpträumen. Sie hat die charmante Angewohnheit, Kindern, die nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen sind, den Bauch aufzuschlitzen und diesen dann mit Glasscherben zu füllen. Selbstverständlich näht sie den Bauch danach wieder zu – kein Grund zur Sorge also. Dazu kommen noch die Hobagoaß, die für mich eh immer ein Ganzjahresmonster war, und der Rawuggerl, der seit jeher bei uns im Keller haust.

Bildquelle: Wuide Dragn – Bluadige Luz

​Ich muss gestehen, ich hatte die meisten dieser Gestalten vergessen (außer dem Rawuggerl, aber ich gehe ja auch nicht in den Keller) und schon lange keine Angst mehr, nachts vor die Tür zu gehen. Also danke, teuerste enchantress, danke dafür, dass du mit den Worten, „Hey, schreib doch mal was über Weihnachten im Woid“ mein grusliges Kulturerbe an die Oberfläche gezerrt hast.

Bei solchen Aussichten bekommen die Worte „Es wird scho glei dumpa, es wird scho glei Nacht“ doch eine ganz neue Bedeutung. Wobei es sich hier, meiner bescheidenen Interpretation nach, eh‘ genau wie bei „Heidschi Bumbeidschi“, um eins von diesen „Schade, schon wieder ein Baby erfroren“-Weihnachtsliedern handelt.

​Da kann man nur einsehen, dass man als Waidler (Waldbewohner) den Woid verlassen kann, oba der Woid ned den Waidler. Selbst wenn es dieser schafft, die Köpfe einschlagenden, Luft abdrückenden und Bauch aufschlitzenden Wesen, die da nachts im Nebel lauern, zu verdrängen. Ich werde dieses Weihnachten jedenfalls, wie jedes Jahr, heimfahren und den Nebel und den eisigen Wind, der früher noch Leute verweht hat und vielleicht auch von der Wilden Jagd verursacht wird, besinnlich finden. Wahrscheinlich werde ich ab und zu über die Schulter schauen und außerdem auf jeden Fall vermeiden, dass ich nach der Christmette die Tiere reden höre (man stirbt sonst nämlich im nächsten Jahr). Aber ich werde froh sein, dahoam zu sein.

Vielen Dank Nicci ausm Woid für diesen herrlichen Bericht!

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