Totgesagte leben länger
Die Anfänge von Cathedral In Flames, einer Gothic Rock Band aus Prag, reichen bis in die Zeit des Kalten Kriegs in den Achtzigern zurück. Und dennoch sollte es bis Dezember 2019 dauern, bis mit der EP Children of the blackest hole der erste Tonträger veröffentlicht worden ist. Die Band besteht aus Sänger Phil Lee Fall und Gatsby, der als Komponist Gitarre, Bass und Keyboard spielt. Unterstützt werden sie dabei von Sängerin Ambra von Bernstein und Gitarrist Billac de Ville. Gemeinsam präsentieren sie das neue Album Count to nine über Musicraft.
Mit der flotten Uptempo-Nummer „Deep grave“ wird das Album eröffnet, lange nicht in der Form gehörter Gothic Rock. Bei der Grabesstimme von Fall dürfte Andrew Eldritch vor Neid rot anlaufen. Gleichzeitig ist diese Tendenz zum rhythmischen Sprechgesang eine coole moderne Komponente, die gerade auch, wenn von Bernstein als Zweitstimme dazukommt, eine besondere Wirkung entfaltet. Das spanische Sprachsample zu Beginn von „Summertime“ kommt überraschend, ebenso wie dieses Gute-Laune-Feeling, das beim Refrain aufkommt. Das passt zwar zum Titel, ist aber durchaus ungewöhnlich. Der Gothic-Sommerhit, ein neues Genre? So ganz ernst ist dies sicherlich nicht, denn schon das folgende
„Penetrate me“ versprüht deutliche Vibes von The Fields Of The Nephilim, ohne jedoch zu einer Kopie zu verkommen. Da bewahren sich Cathedral In Flames geschickt ihre Eigenständigkeit. „The gate“ besitzt einen deutlichen Klassikanteil, nur leider kommt damit auch diese Art von hochtrabendem, opernähnlichen Gesang einher, dem ich aber generell wenig abgewinnen kann. Schade, denn das Bassspiel ist schön, wenn es mehr in den Vordergrund rückt. Dafür wird im Anschluss beim „Not another vampire song“ im John Fryer Remix die Grabesstimme als Kontrast dazu noch einmal tiefer gelegt, und ich fühle mich insgesamt an The Sisters Of Mercy erinnert.
„Steam punk queen“ gibt der Stilrichtung eine würdige Vertonung, und natürlich übernimmt Ambra von Bernstein hier den Gesang. Die Dramatik des Stücks ist genau richtig, und es lassen sich Parallelen zu den beim diesjährigen WGT aufgetretenen Diva Destruction ausmachen. Das ruhigere „Dreaming in the witch house“ zelebriert den Gothic auf ähnlich schwelgende Weise, wie es einst auch The Fields Of The Nephilim taten. Damit ist es auch mein Favorit des Albums. Die Schwärze tropft aus allen Poren, durchzogen von Nebelschwaden. „Pale rider“ zieht das Tempo wieder etwas an, verbleibt aber in den dunklen Gefilden. Der Refrain ist dabei aber wirklich hitverdächtig mit seinen Mitsingqualitäten. Zum Abschluss erscheint mir „Release the pain“ im John Fryer Remix wie eine Mischung aus The Mission und HIM, der ein extra Schuss Gothic verpasst worden ist. Es ist gleichzeitig erhaben und verdammt düster und bildet somit ein gelungenes Ende des Albums.
Fazit: Cathedral In Flames zelebrieren auf Count to nine den oft schon totgesagten klassischen Gothic Rock und zerren ihn so aus der Gruft hervor. Totgesagte leben eben doch länger. Die musikalischen Vorbilder lassen sich dabei durchaus ausmachen, und das darf auch so sein. Die Produzenten-Legende John Fryer passt hier bestens ins Bild. Dennoch kopieren Cathedral In Flames nicht einfach, sondern entwickeln dabei auch ihren eigenen Sound, der schön abwechslungsreich ausfällt. Nur „The gate“ ist leider nicht meins, aber sonst ein tolles Album.
Anspieltipps: Dreaming in the witch house, Pale rider
Cathedral In Flames: Count to nine
Musicraft, Vö. 27.09.2024
MP3 8,00 $, CD 13,00 $ erhältlich über Bandcamp
https://www.cathedralinflamesprague.bandcamp.com
https://www.cathedralinflames.com
https://www.musicraft.eu/
Tracklist:
01 Deep grave
02 Summertime
03 Penetrate me
04 The gate
05 Not another vampire song (John Fryer Remix)
06 Steam punk queen
07 Dreaming in the witch house
08 Pale rider
09 Release the pain (John Fryer Remix)
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