Frischer Wind für Nostalgie-Fans
Das Trio JE T’AIME aus Paris hatte 2022 ein großes Jahr mit dem Doppelalbum Passive (Link) / Aggressive (Link), das bewusst zum Valentinstag und zu Allerseelen veröffentlicht wurde. So langsam wird es dann auch Zeit für ein Nachfolgewerk, im Januar ist schließlich Useless Boy über Noires Productions erschienen. Nach wie vor besteht die Band aus Sänger dBoy, Gitarrist Tall Bastard und Bassist Crazy Z., wobei die beiden die Instrumente auch wechseln. Außerdem teilen sich dBoy und Crazy Z. das Programming am Synthesizer. Neu dagegen ist Little Bastard, der zusätzliche Gitarren beigesteuert hat.
Der deutlich elektronische Beginn von „Nightcrawler“ überrascht mich sehr, und erst Recht die ungewöhnlich hohe Stimme von dBoy. Moment, hier übernimmt natürlich eine Dame den Gesang. Es fühlt sich für mich ein bisschen an wie damals, als The Editors „Papillon“ vorgelegt haben. Aber das ist hier „nur“ der Opener, und spätestens mit „Unbroken sleep“ ist klar, welche Band hier agiert. Das ist unverwechselbar JE T’AIME: Energischer Post Punk gepaart mit Elektronik und dem speziellen Gesang von dBoy. Im Anschluss besitzt „When dreams cease“ eine hypnotische Grundstruktur, und langsam wird auch klar, dass für Useless Boy deutlich mehr experimentiert wurde. Die Band probiert sich aus und betritt auch mal Neuland, das wird auch im Anschluss beim Titeltrack „Useless boy“ deutlich. Dieser fällt ruhiger aus und gerät in der ersten Hälfte fast schon ätherisch mit einem hauchenden Chor, nur um in der zweiten Hälfte deutlich experimenteller innezuhalten. Dafür geht „Dead leaves“ direkt in die Beine und besitzt darüber hinaus einen sehr eingängigen Refrain. Das macht das Stück ideal für den Clubeinsatz.
„Whispers (lost in the echoes)“ geht im Anschluss gut nach vorne und treibt den Energie-Level in die Höhe. Es wirkt auf mich, als würde eine The Cure LP statt mit 33 auf 45er-Tempo laufen. So können das nur JE T’AIME. Zusätzlich sorgt das Sprachsample gegen Ende für Überraschung. In „Silent monsters“ werden die elektronischen Komponenten wieder mehr betont, und trotz der Tanzbarkeit liegt über allem eine gewisse Melancholie. Auch „Wrong fold“ greift diese auf, fällt aber deutlich ruhiger aus. Ich habe dabei das Bild von Nebelbänken vor Augen, in denen wenige einsame und knorrige Bäume schemenhaft erkennbar sind. Der Grundrhythmus von „Letter from hell“ erinnert mich an „Wonderful life“ von Black, auch wenn JE T’AIME natürlich ihr eigenes Ding machen und den Cold Wave quasi beschleunigen. Zum Abschluss vereint „Stories not told“ noch einmal die verschiedenen Stimmungen. Düster, elektronisch, tanzbar und immer ein wenig verzweifelt klingend.
Fazit: Wo andere Bands durchaus gekonnt immer wieder aufs Neue den Post Punk zelebrieren, schreiten JE T’AIME dagegen mutig voran. Natürlich stammen sie auch aus diesem Kosmos und wollen das auch gar nicht verleugnen. Dabei wagen sie sich aber auf Useless Boy auch auf neues Terrain, lassen Experimente zu, integrieren auch Noise-Elemente in ihren Sound. Damit wirken JE T’AIME deutlich frischer und moderner als manch ihrer Konkurrenten und zeigen, dass es auch in der Schnittmenge von Post Punk und Cold Wave Spielraum für Innovationen gibt. Frischer Wind für Nostalgie-Fans, energetisch, rebellisch und tanzbar. Und dennoch liegt über allem auch stets diese Melancholie wie ein Schutzmantel, unter den mensch sich flüchten kann und muss, um all das Elend in der Welt auszuhalten.
Am 2. April könnt ihr JE T’AIME übrigens auch auf der Bühne im Live Evil (München) erleben.
Anspieltipps: Useless boy, Whispers (lost in the echoes), Letter from hell
JE T’AIME: Useless Boy
Noires Productions, Vö. 24.01.2025
MP3 9,00 €, CD 14,00 €, LP 22,00 € erhältlich über Bandcamp
Links:
https://jetaime-music.com
https://www.facebook.com/jetaimethemusic
https://www.manicdepression.fr/en/
https://www.facebook.com/manicdepressionrecords/
https://manicdepressionrecords.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/icycoldrecords
https://icycoldrecords.bandcamp.com/
Tracklist:
01 Nightcrawler
02 Unbroken sleep
03 When dreams cease
04 Useless boy
05 Dead leaves
06 Whispers (lost in the echoes)
07 Silent monsters
08 Wrong fold
09 Letter from hell
10 Stories not told
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