Seit 2010 veröffentlicht Thomas Frühwacht mit seinem Solo-Projekt Earlyguard elektronische Klänge und verwebt in seinen Kompositionen minimale, abstrakte und klassische Ansätze. Abstracted ist die neueste Veröffentlichung des Dortmunder Künstlers. Das Album enthält 12 Solo Piano Stücke mit zurückhaltenden Melodien und lang anhaltenden Piano-Klängen, die sich langsam ausbreiten. Der Sound ist wunderschön, sparsam und intim und zeigt Earlyguards Gespür für eindringliche Klangstrukturen.
In unserem Interview spricht Thomas über den Klang seiner Musik, die ersten musikalischen Erinnerungen und über die Herangehensweise und Hintergründe seines musikalischen Schaffens.

Wer verbirgt sich hinter Earlyguard, und wie ist das Projekt entstanden?
Mein Name ist Thomas Frühwacht und Earlyguard ist eine ursprünglich lustig gemeinte englische Übersetzung meines Nachnamens. Das Earlyguard-Projekt entstand in seiner aktuellen Form Mitte der 00er Jahre, als ich mich in Musiker-Internetforen herumtrieb und Earlyguard als Anmeldenamen nutzte.

Beschreib deinen Sound mal außerhalb aller Genre-Schubladen. Wie klingt deine Musik?
Es fällt mir schwer, meine Musik zu beschreiben. Ich habe in den 90er Jahren angefangen Klangcollagen zu basteln, daraus entwickelte sich dann irgendwann meine eigene Spielart im Bereich der Drone Music. Später habe ich mit Timestretching, generativen Klangverläufen und Zwölftonmusik experimentiert, nur um danach Struktur und Melodie wieder für mich neu zu entdecken.

Was sind deine ersten musikalischen Erinnerungen? Woher kommt dein Interesse und die Faszination für elektronische Musik?
Mein Vater hat Orgel gespielt als ich Kind war, daran kann ich mich noch gut erinnern. An der Orgel habe ich auch angefangen Stücke nachzuspielen, die ich im Radio gehört habe. Elektronische Musik habe ich erstmals bewusst wahrgenommen, als ich „Oxygene“ von Jean-Michel Jarre gehört habe und fand diese Klänge einfach faszinierend. Es gab da eine Fernsehwerbung für die Jarre Compilation „Musik aus Zeit und Raum“, da hielt eine Frau am Strand eine Muschel ans Ohr, aus der Kabel und Drähte herausragten. Das fand ich sehr beeindruckend. Meinen ersten Synthesizer habe ich 1986 direkt vom ersten selbstverdienten Geld gekauft und kurze Zeit später eine New Wave/Synthpop Band gegründet. Das war zur Hochphase von New Order und Depeche Mode. So wollten wir damals auch klingen.

Aus welcher Stimmung heraus ergeben sich für dich die besten Musikstücke?
Komischerweise bin ich früh morgens am ehesten kreativ, wenn alles um mich herum ruhig ist. Stille ist unheimlich inspirierend für mich. Ich bin also quasi ein Sonntagsmorgenkomponist.

Welchen Einfluss hat deine Umgebung auf deine Musik? Wie wichtig ist dir die Natur?
Meine Heimat ist das Ruhrgebiet, das größte Ballungszentrum Deutschlands. Ein Schmelztiegel mit sehr unterschiedlichen Settings. Das reicht von Großstadtflair bis hin zu Wäldern, renaturalisierten Industriegebieten und vielen kleinen Seen. Das bunte Treiben ist der große Kontrast zu der Ruhe, von der ich mich so gerne inspirieren lasse. Bei Spaziergängen in örtlichen Parks oder am Dortmunder Phoenix-See denke ich mir gerne musikalische Konzepte aus und kann dabei wunderbar entspannen.

In welcher Beziehung steht und/oder repräsentiert der visuelle Aspekt deine Musik?
Interessanterweise wird meine Musik tatsächlich gerne mit offenen Landschaften assoziiert. Vielleicht liegt das an der Langsamkeit und dem Raum, den ich den Pausen zwischen den Tönen gerne einräume. Ich finde das manchmal ganz erstaunlich, weil ich ganz andere Vorstellungen dazu hatte. Das erste Mal, als meine Musik als Hintergrundmusik für einen Kurzfilm genutzt wurde, war ich total perplex. Das Stück war ein Schlaflied für elektrische Ukulele und Garageband und wurde in einem komödiantischen Kontext verwendet. Der Film hieß übrigens „Shave Ice is nice“ (2011), ich fand ihn wirklich lustig.

Wenn du einen Film auswählen und deine Musik als Soundtrack einfügen könntest – welcher Film wäre das?
Ich habe mal darüber nachgedacht alte Stummfilme zu vertonen, bin aber vor der Rechteproblematik zurückgeschreckt. „Metropolis“ wäre in dem Zusammenhang toll. Aber der wurde schon genug verwurstet und es wäre vermessen, da meine Musik ins Spiel zu bringen.

Vor kurzem ist dein neues Album Abstracted erschienen. Wie entstehen deine Stücke bzw. deine Kompositionen?
Abstracted besteht ja aus sehr ruhigen Klavierstücken. Ich habe von Juni bis Dezember 2020 mit größeren Pausen an den Tracks gearbeitet. Meist improvisiere ich einfach, nehme das direkt auf und verändere danach oft exzessiv die Strukturen und Details der Stücke. Das kann dann Wochen dauern bis ich einigermaßen zufrieden bin. Manchmal ist ein Track aber auch in 30 Minuten komplett produziert. Das ist ganz unterschiedlich.

Die Einflüsse, die du in deiner Musik verarbeitest, würden wir die auch in deiner Plattensammlung oder auf deiner Playlist wiederfinden? Welche Musik hörst du gerade besonders gerne?
Oh, ich glaube schon, dass sich die Einflüsse in meiner Sammlung wiederfinden. Ich komme ja vom Wave und Synthpop und da würde man einiges finden, auch viel Klassik. Ich liebe die Musik von Erik Satie und ich fürchte, das hört man auch. Im Moment verschlinge ich regelmäßig die Klavieretüden von Philip Glass in der Interpretation von Maki Namekawa.

Was ist die überraschendste CD /LP in deinem Regal?
MAD – Wie es tönt und stöhnt! (lacht)

Alkohol ist bekanntlich auch keine Lösung – eine Alk-Kombination, nach der du ganz sicher keine Probleme mehr hast?
Ich trinke eigentlich keinen Alkohol. In jungen Jahren trug ich aber nicht ganz ohne Grund den Spitznamen Tom Bailey. (lacht)

Welches Instrument wird sicherlich NIE in einem Earlyguard Song zu hören sein?
Ich würde kein Instrument ausschließen. Gerade das Experimentieren mit ungewöhnlichen Kombinationen hat seinen Reiz. Allerdings würde zum Beispiel ein Alphorn wohl nicht in mein kleines Laboratorium passen.

Was bedeutet es für dich Musik zu machen? Gibt es noch andere Projekte, in die du soviel Kreativität und Leidenschaft steckst?
Musik ist für mich DER kreative Ausgleich zum täglichen Wahnsinn. Ich habe schon als Jugendlicher meine eigene Musik auf Kassetten verewigt und werde sicherlich nie damit aufhören Musik zu machen. Das war auch der Grund, meine Aufnahmen zu veröffentlichen. Ich mach sie halt sowieso. Für andere Projekte bleibt neben der Musik, dem Job und der Familie nicht viel Zeit. Auf Spaziergängen fotografiere ich manchmal mit dem iPhone, wenn mich ein Motiv anspricht. Dazu nutze ich seit mittlerweile 10 Jahren die App „Hipstamatic“, die alte Kamerasysteme simuliert.

Was sind deine Pläne, was wünscht du dir?
Pläne schmiede ich eigentlich nicht. Da ich mit meiner Musik kein Geld verdiene, sondern sie unbelastet von jeglichem Druck produzieren kann, wann und wie ich will, bin ich mit der Situation sehr glücklich. Ich wünsche mir, dass ich diesen Luxus weiter wertschätzen kann.

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