Videotraum ist eine Band aus Hamburg, die sich 2020 gegründet hat. Mit ihrer Musik erkunden Jo & Misael die urbane Dunkelheit einer pulsierenden Industrie-Landschaft und kreieren einen synthgetriebenen Sound, der in ein wunderbar dunkles und kaltes Ambiente gekleidet ist – atmosphärischer Dark Wave, der die Welt vergessen lässt. Sie selber beschreiben den Klang ihrer Musik als „Melancholie, Sehnsucht, Energie und Schmerz zwischen tiefen Wäldern und Industrieromantik“. Nach ihrer ersten EP Schatten haben Videotraum für dieses Jahr ein neues Album angekündigt, das bei Young & Cold Records erscheinen soll. Wir freuen uns darauf!

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Wer verbirgt sich hinter Videotraum?
Misa:
Wir sind zwei Personen, Jo (Gesang und Lyrics) und Misael Tóxcatl (Musik, Lyrics, Mixing, Mastering). Wir sind seit ca. fünf Jahren zusammen und machen seit anderthalb Jahren gemeinsam Musik als Videotraum. Ich mache seit etwas mehr als 13 Jahren Musik in verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Menschen.
Jo:
Misa ist das kreative Herz von Videotraum, und ich steuere meine Stimme und den einen oder anderen Text bei.

Wie kam es zur Bandgründung, wie seid ihr auf euren Bandnamen gekommen und was bedeutet er für euch?
Misa: Videotraum ist Anfang Juni 2020 während des Lockdowns entstanden. Der Impuls kam, als ich einen Song von einem Freund aus Mexiko hörte, den er gerade gemacht hatte. Ich fing an, Musik zu produzieren und Texte zu schreiben, aber ich wusste, dass ich eine Stimme brauchte, die all das ausdrücken kann, was ich ausdrücken wollte. So kam Jo dazu, ich schlug ihr vor zu singen, sie sagte “ja”, und so entstand unser erster Song: ”Wehmut“. Der Name “Videotraum“ ist eine Kombination verschiedener Aspekte. Meine Liebe für Horrorfilme und Science Fiction spielt eine Rolle. Videotraum ist eine Kombination aus Cronenbergs Film “Videodrome“ von 1983, und wie faszinierend oder gruselig Träume sein können. Videotraum ist zu einem Ort geworden, in dem ich meine Gefühle ausdrücken kann. Im Moment ist Videotraum mein Hauptgrund, weiter Musik zu machen.

Was verbindet euch?
Misa und Jo: Wir haben uns in Mexiko kennengelernt, wo wir beide gelebt haben und machen seit fünf Jahren verschiedene Projekte zusammen, wir sind eine Familie. Wir mögen ähnliche Musikrichtungen und haben sehr ähnliche Ansichten über die Welt und wie wir leben wollen. Das verbindet uns sehr und hat auch eine große Rolle dabei gespielt, wie Videotraum entstanden ist.

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Beschreibt euren Sound mal außerhalb aller Genre-Schubladen. Videotraum klingt wie …
… Melancholie, Sehnsucht, Energie und Schmerz zwischen tiefen Wäldern und Industrieromantik.

Was sind eure ersten musikalischen Erinnerungen? Woher kommen euer Interesse und die Faszination für (elektronische) Musik?
Jo: Meine ersten musikalischen Erinnerungen sind die Musik, die meine Mutter hörte. Ich war z.B. als Kind, seit ich ca. fünf Jahre alt war, mit meiner Mutter einmal im Jahr auf einem kleinen Independent-Festival, dass ihr damaliger Freund organisierte. Ich fand die Konzerte damals schon faszinierend und stand direkt vor der Bühne. Dort hat immer die deutsche Punkband Dritte Wahl gespielt, und Gunnar, der Sänger, sagt heute noch, ich wäre sein jüngster Fan. Musik, Konzerte und Festivalambiente sind seitdem ein ganz normaler Bestandteil meines Lebens. Ich kann auch bei lauter Musik gut schlafen, und ich glaube das kommt daher. Die ersten musikalischen Einflüsse, die mich geprägt haben, sind Ton Steine Scherben/Rio Reiser, Element of Crime, Dritte Wahl und David Bowie. In elektronische Musik bin ich abgetaucht als ich, nach meiner Schulzeit, in Berlin gelebt habe und viel in der Clubszene unterwegs war, das war so von 2008 bis 2011. Damals habe ich gemerkt, dass ich mich in einer Nacht mit elektronischer Musik in eine eigene Welt hineintanzen konnte, egal wie viele Menschen um mich herum waren, das hat mich sehr fasziniert. Vor einiger Zeit habe ich mich von dem Nachtleben-Ambiente entfernt, aber die Erinnerungen und das Gefühl, dass mich elektronische Musik in eine andere Welt transportieren kann, bleiben, und das ist für mich etwas Einzigartiges, was kein anderes Musikgenre kann.

videotraum_1Misa: Meine indirekten musikalischen Erinnerungen sind schon lange her. Zuhause in meinem Elternhaus lief immer Musik, zum Aufwachen, zum Essen, zum Putzen, immer. Ich würde sagen, dass mein Vater dafür verantwortlich ist, dass ich jetzt sogar Musik höre, wenn ich abwasche. Meine ersten aktiven Erinnerungen an Musik, also Musik, die ich selbst hörte, sind eine Kassette von El Tri, einer mexikanischen Rock/Blues-Band, die mir ein Cousin geschenkt hatte und eine Radiosendung, die „Oldies but goodies“ hieß. Das war eine Sendung, in der sie Musik aus den 80ern spielten, und ich hörte sie regelmäßig auf einem kleinen Radio, was ich hatte. Ich glaube, es gab zwei Momente, in denen ich mich dieser Musik angenähert habe. Der Erste war 1996, als ich keine Ahnung von Musikgenres oder so hatte mochte ich einfach Songs einer mexikanischen Synthpop/Elektronic-Band namens Moenia. Und der Zweite im Jahr 2010, als ich eine Freundin hatte, die in der Gothic-Szene unterwegs war und anfing, mir Musik zu zeigen. Da habe ich meine Liebe für diese Musik entwickelt.

Welchen Einfluss hat eure Umgebung auf eure Musik? Aus welcher Stimmung heraus ergeben sich für euch die besten Lieder?
Jo und Misa: Die Umgebung spielt eine große Rolle, weil sie die Stimmung prägt und der kreative Output in großem Maße von der Stimmung beeinflusst wird. Die Industrie-Landschaft und das Klima Hamburgs prägen uns sehr. Dort wo wir in Hamburg leben sind wir umgeben von Industrie, Containern, Schiffen … Das Klima ist eher rau, öfters nass/kalt mit grauem Himmel. Natürlich gibt es in Hamburg auch sehr sonnige und warme Tage, aber man kann sich immer darauf verlassen, dass früher oder später dieser graue Himmel zurückkommt. Es ist, als wäre es die Grundstimmung, die die Tage mit anderem Wetter begleitet.
Misa: Ich denke, man könnte sagen, dass in Momenten der Traurigkeit, Melancholie und Wut die Inspiration besser fließt. Es mag nach Klischee klingen, aber im Moment kann ich keine Musik in anderen emotionalen Zuständen machen. Ich habe viele Jahre meines Lebens mit Depressionen und Angstzuständen verbracht, und auch wenn ich es nicht will sind diese Stimmungen immer bei mir.

Die Einflüsse, die ihr in eurer Musik verarbeitet, würden wir die auch in eurer Plattensammlung oder auf eurer Playlist wiederfinden? Welche Musik hört ihr gerade besonders gerne?
Misa: Manche ja. Zum Beispiel habe ich schon mal gedacht, dass ich gerne eine Mischung machen würde zwischen Julio Jaramillo, einem Bolero-Sänger mit ziemlich dunklen, traurigen und melancholischen Texten und dem tanzbaren Sound von Moenia. Obwohl manche Leute bestimmt denken, dass ein Großteil der Musik, die ich höre, nichts mit dem zu tun hat, was ich mache, beeinflusst sie mich in vielerlei Hinsicht. Musik transportiert mich zu bestimmten Momenten in meinem Leben, zu ganz unterschiedlichen Empfindungen und Emotionen, es geht für mich dabei nicht nur um Musikgenres, sondern weit darüber hinaus. Aber wenn wir über direkte Einflüsse reden, findet man natürlich die Musik von Sopor Aeternus & The Ensamble of Shadows, Boy Harsher, The Cure, The Smiths, Twin Tribes, She Past Away, Nürnberg usw. in unseren Playlists. Im Moment höre ich die gleiche Musik, die ich in den letzten Jahren gehört habe, von Rap, Postpunk, Son Jarocho, Corridos / Banda, Darkwave, Rock, Salsa, Punk, Boleros, Rocksteady, Hardcore, Reggaetón usw. Es klingt sehr divers und das hat mir meiner Meinung nach eine Offenheit und einen weiten Blick auf Rhythmen, Genres und Emotionen gegeben.

Jo: Ich sehe das ganz ähnlich, was ich am liebsten höre, kommt auf meine Stimmung und den jeweiligen Moment an. Natürlich gibt es einige Genres, die ich weniger höre als andere, aber ich bin eine Person, die Abwechslung liebt, und meine Vorlieben verändern sich auch immer wieder von Zeit zu Zeit. Da wir zusammenleben und Misa immer Musik hört, hören wir logischerweise oft das Gleiche, und ich genieße das sehr, weil wir eben beide musikalische Vielfalt schätzen und ich durch Misa auch immer wieder neue Künstler_innen kennenlerne.

Wenn ihr einen Film auswählen und eure Musik als Soundtrack einfügen könntet – welcher Film wäre das?
Misa: Das ist eine ziemlich schwierige Frage (lacht). Vielleicht könnte es “Drive“ von Nicolas Winding Refn sein.

In welcher Beziehung steht und/oder repräsentiert der visuelle Aspekt eure Musik?
Misa und Jo: Der visuelle Aspekt ist ein wichtiger und interessanter Teil der Musik fürmich. Uns war von vorneherein klar, dass wir unsere Musik auch mit Bildern begleiten wollen, die ähnliche Gefühle wie unsere Musik vermitteln.

Gibt es ein Instrument, das sicherlich NIE in einem eurer Songs zu hören sein wird?
Misa: Ich weiß nicht, ob ich irgendein Instrument nennen will, ich möchte mich dem Experimentieren mit dem Klang anderer Instrumente nicht verschließen.

Was ist die überraschendste CD/LP in eurem Regal?
Misa: Noch so eine schwere Frage (lacht). Vielleicht „Siembra“ von Rubén Blades und Willie Colón aus 1978. Ich würde sagen, dass diese Platte ein Kunstwerk ist, das nicht stirbt und für viele Menschen in Lateinamerika eine wichtige musikalische Säule war.

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Für dieses Jahr habt ihr ein neues Album angekündigt, das bei Young & Cold Records erscheinen soll. Was könnt ihr uns schon darüber erzählen? Wie entstehen eure Songs?
Misa und Jo: Wir freuen uns unglaublich doll darüber, dass dieses Album bei Young & Cold Records erscheinen wird, es wird unsere erste LP. 2020 haben wir eine EP/Demo mit fünf Songs veröffentlicht, aber diese neue Platte wird unser erstes offizielles Album sein, und damit wird uns vielleicht auch ein breiteres Publikum kennenlernen.
Misa: Wenn ich einen Song anfange, beginnt alles zuerst mit meinem emotionalen Zustand, daraus entstehen die Melodien, Harmonien usw., bis die Musik Form annimmt. Danach schreibe ich die Texte. Normalerweise entstehen die Songs so, obwohl die Reihenfolge natürlich manchmal auch anders sein kann.

Was sind eure Pläne? Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Misa: Unsere Pläne sind, persönlich und musikalisch weiter zu wachsen, dass unser Sound weiter reift, und daran zu arbeiten, ein größeres Publikum für unsere Musik zu erreichen. Da wir alles immer Do-it-yourself und Learning by doing gemacht haben, ist es unglaublich für uns, sichtbar zu sein in einer Szene, in der es wahnsinnig tolle Bands gibt. Wir können es immer noch nicht glauben, jetzt mit Y&C zusammen arbeiten zu dürfen und so die Möglichkeit zu haben, unsere Musik zu verbessern.

An dieser Stelle ein Danke von Herzen an euch, uns für euer Interview ausgesucht zu haben! Euch alles Gute und einen guten Start ins neue Jahr.

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