Kriminalistische Stadtführung mit Witz und Verstand

aaronovitch_WispernEs ist gerade knapp ein Jahr her, dass der junge Polizist Peter Grant in Covent Garden einen Geist getroffen hat und damit in die wohl aberwitzigste Einheit der Metropolitan Police kam – das Folly. Mittlerweile hat er sich zu einem durchaus fähigen Zauberlehrling gemausert und Verstärkung von Kollegin Lesley bekommen, die sich nach ihrem „Unfall“ von damals nun auch der Magie zuwendet. Als Spezialisten für alles Übernatürliche werden sie kurz vor Weihnachten zum Mord an einem jungen Amerikaner hinzugezogen, der in einer Lache seines eigenen Blutes in der Londoner U-Bahn gefunden wurde. Jetzt mischt sich natürlich auch noch das FBI in die Ermittlungen ein und muss an der kurzen Leine gehalten werden, um nicht zu viele Geheimnisse preiszugeben. Gleichzeitig sucht die kleine Einheit des Folly noch immer fieberhaft nach dem gesichtslosen Zauberer, dem Peter am Ende von Schwarzer Mond über Soho beinahe zum Opfer gefallen wäre – und seinem Lehrmeister.

Ein Wispern unter Baker Street steigt rasant und wie gewohnt mit viel Witz ins Geschehen ein und büßt nichts von diesem Tempo ein. Wie immer balanciert Aaronovitch gekonnt zwischen Urban Fantasy, Krimi und Comedy, ohne einen dieser Aspekte überzustrapazieren oder zu vernachlässigen. Aber gerade als klassischer Krimi hat der Roman das Zeug zum Page-Turner, der Leser bleibt bis ganz zum Schluss im Unklaren über den Mörder, den Tathergang, die Details. Er bekommt immer nur kleine irreführende Häppchen gefüttert, und zwischendurch geht es dann wieder mal um etwas ganz anderes, sodass man das Rätseln irgendwann einfach aufgibt und sich mitreißen lässt, denn das kann dieses Buch am besten – und schwupp, ist es ausgelesen.
Mehr als die vorigen Bände ist Ein Wispern unter Baker Street eine literarische Stadtführung durch die schönste Stadt der Welt, jedes Kapitel ist einem Ort in London gewidmet und Peter ist als „Ureinwohner“ mit seinem frechen Mundwerk der unterhaltsamste Führer, den man sich vorstellen kann. Dazu gibt’s die übliche Portion an Polizeiarbeit und ein ganzes Sammelsurium an Anspielungen auf alles, was irgendwie nerdig, Fantasy-verbunden oder einfach nur typically British ist. Aaronovitch lässt weder Harry Potter noch Tolkien aus, diverse Rollenspiele werden genauso bearbeitet wie die Scheibenwelt und Star Trek. Nicht einmal vor den Brit-Kultserien Blackadder und Doctor Who macht er Halt. Wie könnte er auch, schließlich hat er früher Drehbücher für letzteres geschrieben. Trotz der geballten Popkultur setzt Aaronovitch darauf, auch die mythologischen Hintergründe nicht außer Acht zu lassen, was dieser aberwitzigen Achterbahnfahrt durch London einen ernsten, mystischen Beigeschmack verleiht.
Die unbekannte Bedrohung aus dem zweiten Band findet zwar ab und zu Erwähnung, aber im Großen und Ganzen ist Ein Wispern unter Baker Street ein spannendes Zwischenspiel mit viel Humor, aber weniger ernster Problematik als Schwarzer Mond über Soho es war. Erst ganz am Ende wird der Leser daran erinnert, dass in Londons Untergrund noch eine größere, dunklere Bedrohung lauert – und da ist es auch schon aus, und wir müssen uns gedulden, bis Teil vier erscheint. Das wird im Juli auf Englisch der Fall sein (unter dem Titel Broken Homes), sodass der deutsche Buchfreund wohl ein weiteres Jahr warten muss. Ich bin allerdings schon jetzt überzeugt, dass es sich lohnen wird, denn Ben Aaronovitch hat sich in mein anglophiles Herz geschrieben und wird hoffentlich noch viele Romane von sich geben.

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Ben Aaronovitch – Ein Wispern unter Baker Street
dtv, 2013
445 Seiten, Taschenbuch
9,95€
eBook: 8,99€

Ben Aaronovitch
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