Eine Hommage an die Sprache

Graedon_ADas_letzte_Wort_165281Die nicht allzu ferne Zukunft: In Amerika läuft das alltägliche Leben quasi nur noch digital ab. „Mems“ – Smartphone-ähnliche Geräte, interagieren direkt mit dem Nutzer. Hunger? Das Mem bestellt das Essen, auf das man gerade am meisten Lust hat. Attraktive Blondine in der Bar kennengelernt? Die Mems tauschen automatisch Kontaktdetails aus. Bücher liest man nicht mehr, sondern sie werden direkt in den Kopf gestreamt. Es liegt einem ein Wort auf der Zunge, doch man kommt gerade nicht darauf? Kein Problem, das Mem hilft aus. Doch plötzlich scheinen sich diese kleinen mentalen Ausfälle zu häufen, und sie gehen einher mit weiteren mysteriösen Krankheitssymptomen. Auch Anana, Lexikografin, ist betroffen, und wird mit dem Verschwinden ihres Vaters, der diese merkwürdige Krankheit bereits vor Jahren vorhergesehen hat, mitten in die Geschehnisse hineingezogen. Wie Alice ins Kaninchenloch fällt sie in eine Welt, die auf eine Katastrophe zusteuert.

Das letzte Wort malt eine bedrohliche Zukunftsvision, die nicht weit hergeholt ist. Es führt dem Leser auf bedrückende Art und Weise vor Augen, wie abhängig wir bereits jetzt von unseren Smartphones, Computern und Tablets sind, und dabei sind unsere Geräte noch nicht einmal so „schlau“ wie die Mems aus Alena Graedons Zukunft. Die Vision einer Welt quasi ohne Bücher bricht mir fast das Herz, und umso verstörender fand ich, dass ich selbst dieses Buch auch „nur“ in digitaler Form als eBook gelesen habe. Ständig fragt man sich, wie viel man wirklich seinem Gerät überlässt und wie viel wir verlernen, weil ein Telefon uns eine Aufgabe abnimmt. Wir rechtfertigen das gern mit dem Argument, dass ein solches Gerät unsere eigenen Kapazitäten für wichtigere Dinge freihält, als zum Beispiel das Auswendiglernen von Telefonnummern. Aber wie weit führt uns das in der Zukunft? In Das letzte Wort malt Graedon eine der wohl bedrohlichsten Konsequenzen: den Verlust unseres Sprachvermögens und jeglicher Möglichkeit zur Kommunikation.
Oft wird das Buch sehr philosophisch und enthält kleine Phasen der Selbstanalyse, was in vielen Büchern äußerst stören würde, doch bei der gesamten Thematik der Sprache und wie sie uns formt, passt dieses Stilmittel perfekt. Allerdings sollte man vorsichtig sein, wenn man sich von Büchern gern „berieseln“ lässt, denn man muss schon aufmerksam dabei bleiben, wenn man Das letzte Wort wirklich genießen will.
Es haut nie mit dem Holzhammer auf den Leser ein, doch im Hintergrund schwingt ständig die leise Kritik mit: Wie viel geben wir online über uns preis? Verlernen wir bei all der Selbstdarstellung auf „sozialen“ Medien in Wirklichkeit den Kontakt zu anderen Menschen? Wie sehr verlassen wir uns auf Technik?
Obwohl Das letzte Wort recht langsam erzählt und oft auch ganze Wochen überspringt, bleibt es durchweg spannend. Graedon versteht es prächtig, diese subtile Unruhe aufrecht zu erhalten, die einen beschleicht, wenn man nicht das ganze Bild einer Situation sieht. Durch das Zusammenbrechen der Sprache sind auch die Medien betroffen – dadurch wissen die Hauptcharaktere lange nicht, was eigentlich vorgeht und wie groß das Ausmaß dieser Katastrophe wirklich ist, und in dieser Rolle hängt auch der Leser fest.

Das letzte Wort ist eine Kritik an der Abhängigkeit von Technik und digitalen Medien, aber auch eine Liebeserklärung: An Sprache, an Literatur, an Worte und Kommunikation. Es fragt, wie Worte nicht nur Dinge und Sachverhalte definieren, sondern auch das Menschsein an sich, und wie deren Verlust sich auf unsere Gesellschaft und unsere geistige Gesundheit auswirkt. Man sollte sich wirklich die Zeit nehmen, beim Lesen dieses Buches mitzudenken. Liebhaber von Sprache werden es definitiv genießen.

Und: Unbedingt die Printausgabe wählen, beim Umblättern einfach mal die Nase reinstecken und den Duft nach Papier, Leim und Druckerschwärze genießen.

Alena Graedon – Das letzte Wort
Heyne Verlag, Januar 2016
576 Seiten
14,99€
eBook: 11,99€
amazon
diezukunft.de

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  1. […] 4. Alena Graedon – Das letzte Wort 2x (neu und ungelesen) Es gäbe kein perfekteres Buch zum Welttag des Buches: Die nicht allzu ferne Zukunft, in Amerika läuft das alltägliche Leben quasi nur noch digital ab. Bücher liest man nicht mehr, sondern sie werden direkt in den Kopf gestreamt. Es liegt einem ein Wort auf der Zunge, doch man kommt gerade nicht darauf? Kein Problem, das „Mem“ (Smartphone?) hilft aus. Doch plötzlich scheinen sich diese kleinen mentalen Ausfälle zu häufen, und sie gehen einher mit weiteren mysteriösen Krankheitssymptomen … http://schwarzesbayern.info/buch-alena-graedon-das-letzte-wort/ […]

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