Pitchblacks Prosa: Klassiker II

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Ein Universum in sich

„Es hat viele Städte im Laufe der Geschichte gegeben, doch nie eine Stadt wie Diaspar.“ Dieser erste Satz des Klappentextes beschreibt wie kaum ein anderer ein zentrales Element von Die Stadt und die Sterne von Arthur C. Clarke. Denn Diaspar ist eine Bastion, ein Ort, an dem der Rest der Menschheit nach einem verheerenden interstellaren Krieg noch lebt, geschützt vor der Außenwelt und der Zeit an sich, wie es scheint.

Keine glorreichen Weltraumabenteuer

Zeichnen andere Science-Fiction-Werke ein Zukunftsbild, in dem die Menschheit mutig die Grenzen des Kosmos erforscht, so bietet uns dieses Buch des Altmeisters Clarke eine gänzlich andere Vision.
In einer Milliarde Jahren: Erforschung des Alls, menschliches Imperium? Alles schon gewesen und lange passé. Tatsächlich ist die Menschheit von unbekannten Invasoren auf die Erde zurückgetrieben worden und die Stadt Diaspar der einzige Ort, an dem noch Menschen leben. Überkuppelt und ein vollkommen in sich geschlossenes Ökosystem, bietet Diaspar, von einem gewaltigen Zentralcomputer verwaltet, seinen Bewohnern jeden nur erdenklichen Komfort.
Die Geschichte folgt Alvin, scheinbar ein völlig normaler junger Mann, der in dieser Zukunft dem normalen Leben in Diaspar nachgeht. Dazu gehören holografische Abenteuer, in denen die Spieler völlig versinken, oder die Hingabe zur Kunst. Einer Arbeit muss anscheinend niemand wirklich nachgehen, denn der Zentralcomputer und unzählige Maschinen verwalten die Stadt. Sogar die Räume der Wohnungen lassen sich durch gedankliche Befehle verändern. So materialisiert Alvin zum Beispiel ein Sofa, wenn er eine Sitzgelegenheit braucht, oder nutzt die Wand um mittels Lichtprojektionen zu malen. Eine weitere Besonderheit dieser Welt ist, dass die Menschen nicht wie wir geboren werden, altern und sterben. Stattdessen kommen sie als voll ausgebildete Erwachsene zur Welt, in der so genannten Halle der Schöpfung. Dort wurden sie von der künstlichen Zentralintelligenz geschaffen, aus einem gigantischen Speicher, in dem die komplette Bevölkerung Diaspars gespeichert ist. Jeder einzelne Mensch hatte schon unzählige Leben von etwa einem Jahrtausend, an deren Ende ihre Persönlichkeiten gespeichert werden, um sie irgendwann wieder zu erwecken. Jeder Mensch – außer Alvin. Jeder Einzelne kann sich daran erinnern, schon viele Male gelebt zu haben, nur die Hauptperson ist eine Anomalie, denn er ist das erste Mal auf der Welt. Außerdem teilt er als einziger Bewohner der Stadt nicht die allgemeine Agoraphobie, ausgelöst vom ständigen Leben unter einer Kuppel und den Legenden über die Invasoren. Tatsächlich fühlt er sich sogar von der Außenwelt angezogen und möchte Diaspar verlassen, was angeblich noch nie jemand versucht hat.

Drinnen ist es viel schöner

Alvins häufig durchscheinende Sehnsucht nach der äußeren Welt stößt daher wegen der allgemein verbreiteten Agoraphobie bei seiner Umwelt auf nicht viel Gegenliebe. Dennoch gelingt es ihm, mit Hilfe des Zentralcomputers, ein altes, unterirdisches Transportsystem zu entdecken, das Diaspar früher einmal mit anderen Städten verbunden hatte. Tatsächlich findet Alvin auch heraus, dass noch eine zweite menschliche Siedlung existiert. Lys ist eine kleine Stadt in einer grünen Oase, durch Berge abgeschirmt, und das Gegenteil zu Diaspar. Statt der Technologie und Unsterblichkeit haben sich die Menschen von Lys einem einfachen und natürlichen Leben verschrieben, in dem Maschinen nur noch der Arbeitserleichterung dienen. In der Folge haben sie in vielen Generationen ihre geistigen Fähigkeiten verbessert und sind zu Telepathen geworden. Hier findet Alvin einige Hinweise auf die Gründe, warum die Bewohner Diaspars sich so vor der Welt fürchten und Lys der Technologie ängstlich gegenübersteht. Und einiges, was er in Folge dessen erfährt, stellt die Geschichte der Menschheit und der Invasoren, wie sie seit Ewigkeiten erzählt wird, völlig auf den Kopf.

Geist und Maschine

Welch ein Ausblick auf eine ferne Zukunft! Auf der einen Seite die Unsterblichen, die immer wieder neu leben und im Schoß der Technik ein behütetes und sorgenfreies Leben führen. Auf der anderen Seite die Puristen, welche die Hochtechnologie ablehnen und sich der Entwicklung des Geistes zugewandt haben. Die einen in Diaspar sind hoch entwickelt, befinden sich aber, auch wenn sie es selbst verneinen, in einer Stagnation. Trotz der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gleichzeitig aktiv ist und der „wache“ Anteil immer wieder neu durchgemischt wird, kommt doch kein neues Element hinein. Alle die sind, waren und sein werden existieren in den Speichern des Computers und bleiben dort dieselben.
Die anderen in Lys leben zwar natürlicher, pflanzen sich fort und entwickeln sich, doch fehlt ihnen einerseits die Technik, andererseits aber auch der Mut, um wieder als Vertreter der Menschheit den Planeten zu verlassen und Neues zu entdecken. Oder wenigstens Reste des alten Imperiums. Somit scheint auch dieses Modell festgefahren.

Wenn auch in einer wirklich sehr fernen Zukunft, beschreibt Arthur C. Clarke ein Bild, wie die Menschheit im Extrem sich entwickeln könnte. Vor allem die Bewohner Diaspars scheinen durchaus von einigen der heutigen Erdenbewohner abstammen zu können. Konfrontiert mit einer großen Bedrohung und einer überwältigenden Niederlage, ziehen sie sich zurück. Anstatt beizeiten wieder zu versuchen, eine Weiterentwicklung anzustreben, kapseln sie sich ab und zeigen dem Universum im Allgemeinen den Stinkefinger. Sie haben ihre Stadt, ihre kleine abgeschlossene, heile Welt, und sind damit zufrieden. Mit der Zeit koppeln sie sich dann sogar gedanklich völlig von ihrer Außenwelt ab, und die Isolation mutiert zur Angst vor dem Draußen. Auch mit Blick auf die Abhängigkeit der Diasparer von den Maschinen, die alles kontrollieren, könnte es durchaus auch von der heutigen Zeit inspiriert sein. Immerhin entwickelt sich alles rasend schnell und nun auch noch in Richtung Autonomie, Stichwort selbstfahrende Autos.

Allerdings ist Die Stadt und die Sterne (auch unter dem Titel Die Sieben Sonnen oder Vergessene Zukunft erschienen) ein paar Jahre älter. Das Original zu dieser Geschichte ist Clarkes Diesseits der Dämmerung, sein erster veröffentlichter Roman aus dem Jahr 1948. Da allerdings John W. Campbell, der damalige Herausgeber des Astounding Science Fiction Magazins, die Geschichte ablehnte, überarbeitete Clarke sein Buch komplett, verpasste ihm einen neuen Titel und veröffentlichte es 1956 erneut. Auch wenn hier die Fassung von ’56 behandelt wird, so blieb das Original tatsächlich populär genug, um auch weiterhin gedruckt zu werden. Es ist ungewöhnlich, dass von einem Buch zwei Versionen in ähnlichem Maß im Umlauf bleiben und auch ähnlich populär sind. Dabei liegen noch nicht einmal Welten zwischen den beiden Büchern, manche Änderungen sind sogar nur durch den Fortschritt in der Computertechnologie der Nachkriegsjahre beeinflusst.

Der Mann hinter der Geschichte

Der 1917 geborene Arthur C. Clarke war, wie einige der großen Science-Fiction-Autoren, nicht einfach nur ein Mann, der gut mit Wörtern umzugehen wusste. Vielmehr war der studierte Mathematiker und Physiker schon früh an den tatsächlichen Möglichkeiten interessiert, die der Weltraum bietet. Er gilt nach wie vor als ein Visionär neuer Techniken, die er neben seinen Science-Fiction-Romanen auch in wissenschaftlichen Artikeln beschrieben hat. So hat er als einer der Ersten die Idee aufgebracht, geostationäre Satelliten zur Kommunikation zu verwenden. Heute profitieren wir alle von Satelliten im „Clarke Orbit“. Auch ersann er einen Orbitallift, 1979 im Roman The Fountains of Paradise (dt. Fahrstuhl zu den Sternen), was heute allgemein als theoretisch machbar akzeptiert wird, wenn auch die Technik noch hinterherhinkt. Außerhalb der Science Fiction sind vor allem zwei Dinge von Clarke bekannt. Das eine sind seine drei „Clarkschen Gesetze“, von denen vor allem Nummer drei („Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“) bereits den Rang eines Sprichwortes innehat und die damit ähnlich bedeutend sind wie die Robotergesetze von Isaac Asimov. Das zweite, das beinahe jeder Science-Fiction-Filmfan kennt, ist seine Geschichte 2001: Odyssee im Weltraum, die in Anlehnung an den gleichnamigen Film entstand, zu dem er zusammen mit Stanley Kubrick seinerzeit das Drehbuch schrieb.

Das Wort zum Schluss

Die Stadt und die Sterne kann jedem Science-Fiction-Fan nur empfohlen werden. Es ist eine Geschichte so weit in der Zukunft, dass es leicht fällt, ein wenig von eben dieser zu träumen. Zugleich ist es ein großes „Was wäre wenn“ über die Entwicklung der Menschheit und der Technik.

Arthur C. Clarke: Die Stadt und die Sterne
Heyne Verlag, Original 1956, rezensierte überarbeitete Neuausgabe 2011
Taschenbuch, 326 Seiten
ab 8,99 €
Kindle-Version ab 7,99 € bei Amazon
als E-Book ab 7,99 € bei die zukunft

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