“It’s such a shame.”

produkt-10006665Letztes Jahr hatte Bela B. Felsenheimer, der Schlagzeuger der Berliner Band Die Ärzte, den Roman Scharnow veröffentlicht (Link zur Rezension), jetzt hat auch Campino, der Sänger von Die Toten Hosen aus Düsseldorf mit Hope Street ein Buch vorgelegt. In England hatte er die Punkbewegung für sich entdeckt und schon 1978 seine erste Band ZK gegründet. Im legendären Ratinger Hof war er Stammgast, und alles weitere mit Die Toten Hosen sollte nun wirklich allen bekannt sein. Zugegeben, ich bin nie der große Hosen-Fan gewesen, und wenn es irgendwo um die Frage Ärzte oder Hosen ging, habe ich stets zum Lager der Ärzte gehalten. “It’s such a shame.”, wie Campinos aus England stammende Mutter dazu gesagt hätte, die damit immer wieder zitiert wird. Aber als Persönlichkeit fand ich Campino stets interessant. Lesen wir also nach, was er uns zu sagen hat.

Das Buch beginnt unvermittelt damit, wie Campino 2019 die britische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Dies sei ihm wichtig gewesen, um seine englischen Wurzeln nicht durch den bevorstehenden Brexit kappen zu lassen. Denn seine Mutter ist gebürtige Engländerin, die seinen Vater nach dem Krieg durch einen Studentenaustausch in Göttingen kennengelernt hatte. Der kleine Andreas Frege wächst als eins von fünf Geschwistern in einem turbulenten Haushalt auf und verbringt die Sommerferien stets bei der Familie in England. Diese Erzählungen aus der Vergangenheit sind aber mitnichten eine Autobiographie. Sie dienen vor allem dazu, die Entwicklung seiner Leidenschaft für England und seiner großen Liebe, dem FC Liverpool, nachzuzeichnen. Trotzdem dauert es eine ganze Weile, bis Campino seine Lieblingsmannschaft das erste Mal live erlebt, und sogar noch länger, bis dies auch in Anfield geschieht, dem legendären Heimstadion in Liverpool. Spätestens jetzt ist er ein Junkie, der den Gesängen und dem Kick, den der Rausch der Atmosphäre auslöst, hoffnungslos verfallen ist.
Mittlerweile besitzt er das nötige Kleingeld und ist in der Lage, seine Tourtermine um die wichtigen Spieltage herum zu planen, sodass er die meisten Spiele im Stadion erleben kann. Entsprechend dem Untertitel Wie ich einmal englischer Meister wurde erzählt Campino also leidenschaftlich von den Geschichten und Erlebnissen, die ihm beim Hinterherreisen im Meisterschaftsjahr so passieren. Das ist mal witzig, mal gefährlich, und manchmal auch rührend. Dank seines VIP-Status nimmt er die Leser*innen dabei auch in innere Bereiche des Vereins mit, die einem normalen Fan sonst verschlossen bleiben. Es gibt sogar Einblicke in die Küche von Jürgen Klopp, dem derzeitigen Trainer von Liverpool. Völlig unkritisch geht Campino jedoch nicht vor. Er hinterfragt selbst seine Reisen und spendet mehr, als für die CO2-Kompensation erforderlich wäre, und hat dennoch ein schlechtes Gewissen. „It’s such a shame.“ Auch, als er im März trotz Corona noch zum Spiel fliegt. Das wird dann auch das letzte sein. Wie Campino die übrigen Spiele ohne Zuschauerbeteiligung übersteht, und wo er die Meisterfeier erlebt, die notgedrungen nicht in Liverpool stattfinden kann, auch das findet Eingang in Hope Street. Der Name des Buches mag auch Programm sein, dass wir alle miteinander diese Pandemie-Zeit überstehen.
„Im Buch findest du auch eine kleine Überraschung“ stand übrigens im Anschreiben, und nach einem Aufkleber entdecke ich Campinos Signatur. Das ist wirklich eine Überraschung, über die ich mich sehr freue. Leider ist die limitierte signierte Auflage bereits vergriffen. „It’s such a shame.“

Fazit: Campino hat mit Hope Street trotz einiger Ausflüge in die Vergangenheit keine Autobiographie vorgelegt. Der Untertitel Wie ich einmal englischer Meister wurde deutet es an. Der Weg des FC Liverpool zur englischen Meisterschaft, und wie Campino diesen begleitet, bildet die Rahmenhandlung des Buches. Trotz einer gewissen Sympathie für den FC St. Pauli (schwarze Flagge, Totenkopf) habe ich mit Fußball nicht viel am Hut und kann mit übertriebenem Stolz aller Art als Selbstzweck wenig anfangen. Dennoch hat Campino es geschafft, mich in die Geschichte hineinzuziehen. Man ist glaubhaft nah dran an seinen Emotionen und seiner Leidenschaft für den FC Liverpool und Teil der Red Army zu sein. Ich kann seine Gefühle ansatzweise nachvollziehen. Zum einen, weil ich einmal die fantastische Stimmung trotz Niederlage bei einem St. Pauli Spiel in München erlebt habe, zum anderen, wenn ich an die vielen Konzerte mit meiner Lieblingsband New Model Army denke, denen ebenfalls eine Hardcore-Gemeinschaft hinterherreist.
Für Fußball-Begeisterte und Fans seiner Band Die Toten Hosen ist Hope Street naturgemäß uneingeschränkt zu empfehlen. Jedoch hatte ich persönlich gehofft, mehr über Campino als Person abseits des Fußballs und seine Ansichten zu erfahren. Nur ab und an blitzt etwas zwischen den Zeilen auf. „It‘s such a shame.“
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Campino: Hope Street
Piper Verlag, Vö. 05.10.2020
368 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
Hardcover 22,00 €, E-Book, 18,99 € erhältlich über Piper Verlag
Homepage: https://www.piper.de/buecher/hope-street-isbn-978-3-492-07050-8

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