Eine ungeschönte Lebensgeschichte

Rosa Wegscheider hat keine schöne Kindheit, aber sie nimmt es als gegeben hin, kämpft sich durch, unterstützt ihre Geschwister, denn von Elternliebe ist nicht auszugehen. Es war eben eine andere Zeit in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Nach ihrer Hochzeit mit Anderl, der schwer unter Kriegsfolgen leidet, bekommt ihr Ehemann 1953 das Angebot, als Totengräber von Waging zu arbeiten, und etwas später übernimmt die 25-jährige Rosa diese Aufgabe für ihn. Ein Handkarren und später ein schwarzer VW-Käfer mit Anhänger dienen als Leichenwagen. Mit der Zeit übernimmt Rosa die Bestattungsaufgaben sämtlicher umliegender Gemeinden und sorgt als Hauptverdienerin für das Überleben der Familie. Fast 70 Jahre lang ist sie im bayerischen Rupertiwinkel die Erste, die gerufen wird, wenn jemand gestorben ist. Christiane Tramitz, deren Bruder von Rosa Wegscheider bestattet wurde, erzählt die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser starken und eigenwilligen Frau. Sie entführt uns in die einfache Welt einer dörflichen Gemeinschaft – zwischen Liebe und Tod, Tradition und Emanzipation.

Zart besaitet darf man nicht sein, wenn man dieses Buch zur Hand nimmt. Rosa hat als Kind einer Bauernfamilie nichts, aber auch gar nichts zu lachen, ihre Geschwister ebenso. Das ist einfach der Zeit (1928ff.) geschuldet. Erst mit der Heirat erkämpft sie sich eine gewisse Freiheit, sie hat den Mann bekommen, den sie sich für ihre Zukunft gewünscht hat. Aber die Zeiten sind hart, es heißt wieder arbeiten, arbeiten, arbeiten, um sich etwas leisten zu können. Es kommen Weibi, ihre Tochter, und ein Sohn zur Welt, vom letzteren erfährt man ansonsten im Buch nichts. Doch dann bietet der Bürgermeister dem Anderl Wegscheider an, als Totengräber zu arbeiten. Aber nicht sehr lange kann er diesen Beruf ausüben, seine Frau muss ihn erst unterstützen, kurze Zeit später übernimmt sie die Aufgabe ganz. Sie geht voll und ganz in dem Beruf auf, obwohl sie anfangs sehr widerwillig zugestimmt hat. Ihre Kinder und ihr Mann werden zur Nummer 2, das Geschäft als Bestatterin geht vor, und alle haben sie zu unterstützen. Diese Hilfe soll aber nur so passieren, wie sie es will, und sie hat dabei einen sehr unguten Ton drauf. Es gibt einige Situationen in dem Buch, in denen ich ihr die Meinung sagen möchte (und vielleicht auch watschen). Emanzipation ist gut. Ja, auch die Familie muss in diesem Bestreben immer wieder hinten anstehen, und die nächste Umgebung hat es zu akzeptieren, aber es wirkt hier, als ob sie die gleichen Fehler macht, wie ihre Eltern. Eigentlich sollte sie es besser wissen. Als sie die kleine Tochter bei der Arbeit als Bestatterin einführt und dann weiter für ihre Zwecke nutzt, als diese ein Schulmädchen ist, da fehlt mir wirklich das Verständnis dafür. Rosa geht über alles hinweg, als wenn sie es nicht besser wüsste. Ihren Neffen Wastl behandelt sie wie einen Sklaven, aber auch er nimmt es stoisch hin und denkt sich seinen Teil. Der Friedhof war ihr Geschäft und ihre Berufung, nicht nur wegen dem Lebensunterhalt für die Familie, sie konnte hier die ihr gegebene Macht ausspielen.
Die Leserschaft ist immer hautnah dabei, wir bekommen die Geschichte einer hart Arbeitenden serviert, die am Lebensende durch ein gesundheitliches Tief gehen muss, bis sie wieder nach Hause und auf ihren Friedhof kann, und dass auch nur weil Weibi so endlos nachgiebig ist. Rosa Wegscheider hat ihren Job sehr gut gemacht, sie bekam dafür große Anerkennung. Ich gestehe ihr zu, dass sie den Trauernden zur Seite gestanden hat und alles möglich gemacht hat, aber ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und ihrem Neffen gegenüber war sie unnachgiebig, meist lieblos und unverschämt. Rosa hat bis zu ihrem Lebensende 2020 ihre Berufung gelebt, sich eingemischt und mitgemischt. Möge ihre Seele die ewige Ruhe gefunden haben. Ich hoffe, dass der ihr seit Kindheitstagen bekannte Boandlkramer nicht ganz so ruppig beim Abholen mit ihr umgegangen ist.

Christiane Tramitz konnte die Lebensgeschichte der Rosa Wegscheider in vielen Gesprächen mit ihr aufschreiben. Ich möchte ihr Respekt zollen, dass sie dies so neutral wiedergeben konnte, denn ich könnte mir vorstellen, dass auch ihre Nerven immer wieder arg strapaziert wurden.

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Christiane Tramitz: Der Geruch von Erde – Das einfache reiche Leben der Totengräberin von Waging
Ludwig Verlag, Vö. 07.09.2022
256 Seiten
22 € Hardcover
17,99 € E-Book

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