Bis ans Ende des Universums …

Liu_CJenseits_der_Zeit_197535Jahrzehnte nachdem Luo Ji mit seinem „Fluch“ einen Frieden mit Trisolaris erzwungen hat, haben sich beide Zivilisationen weiterentwickelt. Als Cheng Xin, die noch aus der Zeit vor der Krise stammt, aus dem Kälteschlaf erwacht, findet sie sich in einer geradezu utopischen Gesellschaft wieder, in der die Menschheit in Frieden und Überfluss glücklich miteinander lebt. Der Austausch mit Trisolaris und die Aufhebung der Barriere der Grundlagenforschung hat zu sprunghaftem wissenschaftlichen Fortschritt geführt, und man hat sich mit den Aliens, die noch immer auf dem Weg zur Erde sind, auf eine gemeinsame Zukunft geeinigt. Trisolaris hat ebenfalls vom Menschen gelernt – Kunst steht hoch im Kurs. Das alles basiert nach wie vor auf Luo Ji, der vom Wandschauer zum Schwerthalter wurde und am roten Knopf zu Übertragung der Koordinaten von Trisolaris ins ganze Universum sitzt. Doch Luo Ji wird alt, und seine Nachfolge muss bestimmt werden. Als jedoch die sanftmütige Cheng Xin gewählt wird, muss die Menschheit lernen, dass Trisolaris nicht nur Kunst von ihr gelernt hat – sondern auch das Lügen.

Jenseits der Zeit, der Abschluss der Trisolaris Trilogie, fügt sich nahtlos an Der dunkle Wald an, nimmt jedoch bald eine gänzlich andere Wendung, die zumindest ich nicht erwartet hatte. Dem Leser wird schnell klar gemacht, dass der Konflikt zwischen Erde und Trisolaris auf der großen Bühne des Universums vollkommen unbedeutend ist, und dass die Menschheit bald ganz andere Sorgen haben wird. Wo die Offenbarung, dass eine Außerirdische flott auf dem Weg ist, um die Erde einzunehmen, bereits eine ganz neue Gedankenwelt offenbart hat, so sind die Entwicklungen von Jenseits der Zeit wortwörtlich ein ganz neues Universum für die Menschheit. Doch wie sollte man darauf reagieren? Sollte die Menschheit sich auf den Weg zu den Sternen machen und ihren Platz im Universum einnehmen, oder versteckt man sich im Sonnensystem und hofft, keine Aufmerksamkeit zu erregen?

Wo Die drei Sonnen und Der dunkle Wald sich vorwiegend mit dem Verhalten der Gesellschaft als Ganzes beschäftigen, reduziert sich Jenseits der Zeit stark auf Cheng Xin als Sinnbild für die Menschheit. Womöglich ein mutiger Schritt von Cixin Liu, da genau dieser Fokus auf die Gesellschaft die Vorgängerromane als besonders auszeichnete, doch es gelingt ihm ausgezeichnet, all diese Konflikte auf eine einzelne Person und ihr unmittelbares Umfeld zu projizieren, und sie auf eine Reise ans Ende ins Universum und darüber hinaus zu schicken. Er zeigt die Vergänglichkeit der Dinge auf, die wir heutzutage für wichtig und unvergänglich halten, und führt Cheng Xin die Belanglosigkeit ihres Volkes vor Augen. Jenseits der Zeit hat einen hoffnungsloseren Ton als seine Vorgänger. Der Krieg gegen Trisolaris mag gewonnen sein, doch das Wissen, das wir erlangt haben, macht uns nur umso stärker bewusst, dass wir auf lange Sicht gesehen vergänglich wie Eintagsfliegen sind.

Cixin Liu spielt mutig mit Themen, die nur schwer in Worte zu fassen sind. Zweidimensionalität, Multidimensionalität, die Veränderung von physikalischen Gesetzen und Konstanten. Man könnte argumentieren, dass er sich damit von der Science der ersten Bände weg und eher zur Fiction hinbewegt, doch er fügt all das geschickt in den Kontext ein: Wer sind wir denn überhaupt, dass wir wissenschaftliche Gesetze aufstellen und für unumstößlich halten?

Das einzige Konzept, das einen wunden Punkt bei mir getroffen hat, war das Versagen einer Gesellschaft, die Cixin Liu als „weiblich“ darstellt. Als Cheng Xin aufwacht, wundert sie sich, weil es keine Männer mehr zu geben scheint. Tatsächlich haben sich die Ideale nur zu Eigenschaften hin verschoben, die als feminin gelten, äußerlich wie auch innerlich. Die Gesellschaft ist sanft, friedlich, und sehnt sich nach einer Mutter mehr als nach einem Krieger, und sie wird dadurch angreifbar. Als sich die Menschheit weiterentwickelt, zu Kämpfen, die ihr Schicksal in ihre eigenen Hände nehmen wollen, treten männliche Züge wieder in den Vordergrund. Obwohl Cheng Xin die Heldin der Geschichte ist, wird sie vor allem als passiv, ängstlich und ständig von Gewissensbissen geplagt dargestellt. Diese klischeehafte Skizzierung finde ich ärgerlich rückschrittlich und eines so genialen SciFi Epos unwürdig.

Im Großen und Ganzen ist Jenseits der Zeit aber trotzdem ein gelungener Abschluss. Wenn man nach Kritikpunkten sucht, würde man vielleicht aufführen, dass es sich ein wenig hinzieht. Ich habe einmal an Cixin Lius Kurzgeschichten kritisiert, dass sie alle im Grunde kleine Romane werden wollten. Bei Jenseits der Zeit kommt es mir nun so vor, als wollte dieser Roman eigentlich drei Romane werden. Nach zweieinhalb Büchern wünscht man sich eine Auflösung, egal welcher Art, doch Cixin hat noch einiges zu erzählen. Aber immerhin sind seine Ideen dabei so anders, so mutig und weitreichend, dass man ihm die Ausschweifungen verzeihen kann. Und man wird mit einem Ende belohnt, das man sich wahrlich nicht hätte vorstellen können.

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Cixin Liu – Jenseits der Zeit (April 2019)
Heyne Verlag, 992 Seiten
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