Ein Abschied?

Wildwood war vor drei Jahren eins der ersten Bücher, die ich je für dieses Webzine besprochen habe. Die Saga um den zauberhaften Wald direkt hinter der Stadtgrenze von Portland, Oregon begleitet mich also schon lange, und der mittlerweile dritte Teil fühlt sich ein bisschen wie ein Abschied an.
Doch davor geschieht noch einiges: Der Ratsbaum hat Prue aufgetragen, den wahren Erben von Südwald auferstehen zu lassen. Dazu will sie das Volk von Südwald auf ihre Seite holen, doch sie stellt bald fest, dass dort nach der von ihr angestoßenen Revolution einiges im Argen liegt. Curtis und die Ratte Septimus hat sie seit ihrer Trennung nach den Abenteuern im Unterwald nicht mehr gesehen.
Die Waisenkinder aus Mr. Unthanks Heim haben sich derweil in der Industriewüste ein neues Zuhause aufgebaut, sind aber noch immer auf der Suche nach ihrer Freundin Martha und ihrem blinden „Ziehvater“ Carol.
Als einige Mädchen aus Südwald zum Spaß eine Séance abhalten, wecken sie etwas auf, das seit den Ereignissen des letzten Jahres tief im Wildwald geschlafen hat …

Man merkt schon: Wildwood III ist, wie schon sein Vorgänger, deutlich komplexer als der erste Teil der Reihe. Handlungsstränge, die in Teil eins und zwei aufgenommen wurden, werden nun endlich zu einem großen Teppich verwoben, und jedes Puzzleteil fällt an seinen Platz. Anfangs fiel es mir ein wenig schwer, mich an alle Details aus Wildwood II: Das Geheimnis unter dem Wald zu erinnern, doch nach und nach findet man sich in Meloys Welt im Wald wieder zurecht und wird schnell von der Geschichte mitgerissen.

Rasch wird klar, dass im Wald nach dem Sieg gegen Alexandra und ihre Kojotenarmee längst nicht alles wieder in Ordnung ist. Südwald versinkt im Chaos einer Übergangsregierung, eine religiöse Sekte reißt mehr und mehr Macht an sich, und die Spannungen zum Vogelfürstentum sind nach wie vor vorhanden. Die Wildwaldräuber sind verschwunden, nur Curtis und Septimus versuchen tapfer, den Schein zu wahren. In der Industriewüste vor den Grenzen des Waldes kämpft eine Gruppe Saboteure gegen die wachsende Macht der Industrietitanen und bekommt ungeahnte Hilfe durch eine Gruppe Waisenkinder, die fest entschlossen ist, ihre Freunde zu befreien. Und diese Beschreibungen kratzen nur an der Oberfläche – trotzdem fügt Meloy das alles geschickt, fesselnd und mit einer Prise Humor zu einem großen Ganzen zusammen.
Wie schon seine Vorgänger mutet Wildwood III auf den ersten Blick wie ein Märchen an, doch man stellt bald fest, dass es viel tiefer reicht. Nicht nur gibt es die eine oder andere leise Kritik an der modernen Welt und der Apathie ihrer Menschen, der Wald wird auch zum Sinnbild für eine von Bürgerkriegen und Umbrüchen zerrissene Nation.
Natürlich ist es dann aber doch genug Märchen, um die Geschichte einem allauflösenden Ende zuzuführen, das mir fast ein wenig zu Friede-Freude-Eierkuchen war. Nach der Komplexität des Abenteuers, durch das Meloy uns in drei Büchern geführt hat, war mir das Ende etwas zu banal, doch im Grunde kann man das der Geschichte dann doch verzeihen. Und ein kleines Hintertürchen für eine Weiterführung der Reihe hat sich Meloy dann doch noch offen gelassen.

Die Wildwood-Trilogie ist ein zauberhaftes Märchen für Groß und Klein zum Selbstlesen oder Vorlesen, versinkt aber nicht im kitschigen Sumpf einer platten Kindergeschichte. Mit den liebevollen Zeichnungen von Meloys Frau Carson Ellis habe ich ja im ersten Band noch gehadert, doch mittlerweile gehören sie für mich zum Zauber der Wildwood-Chroniken einfach dazu.
Diese Reihe ist eine absolute Leseempfehlung für Fans von epischer, märchenhafter Fantasy. Aufgrund der zunehmenden Komplexität sollte man aber dringend mit Wildwood (Rezension) und danach Wildwood: Das Geheimnis unter dem Wald (Rezension) anfangen.

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Colin Meloy – Wildwood: Der verzauberte Prinz
Mit Bildern von Carson Ellis
Heyne fliegt, 2014
608 Seiten
19,99€
eBook: 15,99€

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http://www.wildwoodchronicles.com/

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