Ein zweites „Es“?

Simmons_DElm_Haven_196938Sommer 1960, Illinois. Die aussterbende Kleinstadt Elm Haven brütet in der Sommerhitze. Fünf Freunde freuen sich auf die Ferien und vor allem darauf, die örtliche Grundschule ein für alle Mal zu verlassen, denn das eigentümliche, unheimliche Gemäuer war von vornherein zu groß konzipiert worden und lohnt sich nicht mehr. Doch die Schule und ihre zwielichtigen Mitarbeiter lassen die Schüler nicht einfach so ziehen, und ehe alle Geheimnisse aufgedeckt sind, endet der Sommer für einige Einwohner von Elm Haven tödlich.

40 Jahre später: Dale, einer der fünf Freunde, kehrt für einen Winter nach Elm Haven zurück. Der Literaturprofessor und mittelmäßige Autor hat gerade Frau und Kinder durch eine Affäre verloren, leidet unter Depressionen und Schlafstörungen. In seiner alten Heimat will er sich sammeln und ein Buch über den Sommer 1960 schreiben. Doch in Dale liegt noch ein weiteres Geheimnis verborgen.

„Elm Haven“ verbindet die zwei Romane „Sommer der Nacht“ und „Im Auge des Winters“ und erinnert nicht nur durch seinen schieren Umfang an Stephen Kings genredefinierendes „Es“. Auch das Setting einer amerikanischen Kleinstadt, eine Gruppe heranwachsende Kinder, Sommerferien und eine unheimliche Bedrohung. Dan Simmons beschreibt diese Szenerie sehr gekonnt, von Anfang an spürt man die Hoffnungslosigkeit des aussterbenden Ortes, obwohl die Jugendlichen sich dessen noch nicht bewusst sind. Was allerdings in seiner Beschreibung etwas zu kurz kommt sind die Charaktere selbst, die in einem Kapitel aus Dales Sicht vorgestellt werden, aber wenig Verbindung zum Leser herstellen können. Dadurch musste ich oft nachdenken, um wen es jetzt eigentlich ging und brauchte lange, um mich mit den fünf Jungs auch nur annähernd identifizieren zu können.

Der Horror, der Elm Haven heimsucht, wechselt zwischen subtiler, unheimlicher Bedrohung und sehr offener Konfrontation mit ein paar Ekelelementen, aber nächtelang wach liegt man vermutlich deswegen nicht. Allgemein ist „Sommer der Nacht“ zwar flüssig und spannend erzählt, aber es fehlt einfach das Besondere.

„Im Auge des Winters“ ist da interessanter. Ereignisse werden aus Dales Sicht geschildert, jedoch bleibt immer die Frage im Hintergrund, ob er womöglich nur halluziniert, oder ob doch noch dunkle Mächte am Werk sind in Elm Haven. Es ist weniger offensichtlich als Horrorgeschichte, mit stärkeren psychologischen Einflüssen, was es im Grunde unbehaglicher macht, als „Sommer der Nacht“. Außerdem punktet es mit einem genialen Einfall von Simmons, der Dales Charakter eine wirklich außergewöhnliche Tiefe verleiht. Dummerweise führt eine einzige Bemerkung am Ende dazu, dass man schließlich die gesamte Handlung von „Sommer der Nacht“ in Frage stellt. Mancher Leser mag das erfrischend und interessant finden, ich persönlich kam mir nur plump an der Nase herum geführt vor.

Separat betrachtet würde ich „Sommer der Nacht“ keine hohe Bewertung geben, aber „Im Auge des Winters“ durchaus. Das Problem ist dabei, dass der erste Teil der deutlich längere ist, aber essenziell für die Bedeutung des zweiten. Noch dazu tut sich Simmons mit diesem King-haften Setting keinen Gefallen, da der Leser automatisch Parallelen zieht, und „Elm Haven“ dabei leider zurückfällt. Alles in allem also keine Rundum-Empfehlung, aber wer im Sommerurlaub Zeit hat und ein Fan des Genres ist, kann ja mal reinschauen.

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Dan Simmons: Elm Haven
Heyne Verlag, 11. März 2019
1008 Seiten
€ 19,99
Ebook: € 15,99

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