Grauenvolle Methoden

Deborah St. James, die gute Freundin Inspector Lynleys, bekommt am Anfang ein Fotoprojekt übertragen, bei dem ausgerechnet sie, eine reiche weiße Frau, mit schwarzen Mädchen arbeiten soll. Dann kommt die nigerianische Familie Bankole ins Spiel. Der despotische Vater Abeo, Monifa, seine Frau, die er wie eine Putzfrau behandelt, sein großer Junge Tani und das achtjährige Mädchen Simi. Abeo will seinen Sohn nach Nigeria schicken, dort soll er eine Jungfrau heiraten, die er gar nicht kennt. Schnell kommt heraus, was er mit seinem kleinen Mädchen vorhat.

Sie soll meistbietend verheiratet werden – das ist in der Community nur möglich, wenn sie beschnitten ist. Die Geschichte taucht tief ein in die Szenerie, die Lebensumstände und Charaktere sind plastisch und nachvollziehbar dargestellt. Da kommt Teo Bontempi ins Spiel. Sie gehört einer Spezialeinheit der Londoner Polizei in der nigerianischen Gemeinde Nord-Londons an. Bis sie bewusstlos und mit einer schwerwiegenden Kopfverletzung ins Krankenhaus eingeliefert wird – und aus dem Koma nicht mehr aufwacht. Ein doppelter Grund für eine akribische Untersuchung für Scotland Yard. Sehr schnell kommen atemberaubende Geheimnisse ans Tageslicht. Teo führte ein Doppelleben. Tags die Polizistin in Uniform und in letzter Zeit privat zunehmend in traditioneller nigerianischer Kleidung. Warum? Thomas Lynley, Barbara Havers und Nkata Winston erfahren, dass sie als kleines Mädchen in Afrika beschnitten und grausam verstümmelt wurde. Sie hat eine kleine Schwester, doch diese war noch zu jung. Sie wurden gemeinsam von einer reichen europäischen Familie adoptiert und nach London gebracht. Lynley und sein Team müssen tief eintauchen in eine Welt, von der sie irgendwo wussten, dass es sie gibt, aber noch nie mussten sie so sehr ihre Komfortzone verlassen. Ein Mord muss aufgedeckt werden, aber noch mehr ein kleines Mädchen gerettet. Außerdem muss alles getan werden, dass die Welt von dieser himmelschreienden Methode ablässt, Mädchen und Frauen so grausam zu verstümmeln und sie zur Ware zu machen. Ausgerechnet eine von Deborahs Fotografien gibt einen entscheidenden Hinweis bei der Ermittlung.

Elizabeth George hat wieder perfekte Recherche betrieben. Sie, die in Seattle, USA lebt, hat einen Schauplatz geschaffen, als ginge sie tagein tagaus in London umher, und nicht nur in den vornehmen, sondern auch in den ärmeren Vierteln. Dem Leben in der nigerianischen Gemeinde hat sie viel Platz gelassen. Trostlosen Häuserfassaden wünscht sie, Banksy würde vorbeischauen. Außerdem sind wieder alle Darsteller vorhanden. Lynley und sein Butler, Barbara, Nkata und seine Familie, Deborah mit Mann, Vater, Hund und Katze, das Personal im Scotland Yard, sowie diese Deirdre, die Lynley nach Helens Tod kennengelernt hat. Das macht es für mich einfach, Elizabeth George zu lesen. Es ist wie Heimkommen. Oder zumindest wie eine neue Staffel einer geliebten Serie auf Netflix. Wenn das Thema FGM (Female Genital Mutilation) nicht gewesen wäre, hätte ich mich noch mehr über die kleinen Geschichtchen unter den Protagonisten freuen können. Doch das war Ms. George in ihrem 21. Fall nicht so wichtig. Sie hat ein Thema gewählt, das es wert ist, einmal in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu kommen. Lesenswert!

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Elizabeth George: Was im Verborgenen ruht
Originaltitel: Something to hide
Übersetzung: Charlotte Breuer
Goldmann Verlag , Vö. 28. März 2022
Gebundenes Buch: 800 Seiten, 26 Euro
eBook: 25,99 Euro

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