Tiefste menschliche Abgründe

 

Ein junges Mädchen stürzt in Stockholm von ihrem Balkon in die Tiefe. Es sieht nach Selbstmord aus und findet deshalb wenig Beachtung bei der Polizei. Doch Kevin Jonasson, ein junger, introvertierter Kriminalbeamter, spürt dem nach. Er findet heraus, dass sich die Tote kurz zuvor mit einem Unbekannten getroffen und sich prostituiert hat. Es verschwinden parallel zwei junge Mädchen aus einem Heim bei Uppsala. Jonasson findet eine Spur zu einem Mann, den man „Puppenspieler“ nennt, und von dem die Polizei nur weiß, dass er sich online junge Mädchen für gewisse Zwecke sucht. Sie alle werden missbraucht. Kevin Jonasson, privat ein Film-Nerd, hat beruflich sein Aufgabengebiet im Bereich Internetkriminalität. Bei der Sichtung und Analyse pornographischer Bilder und Videos fällt ihm eines Tages eine junge schwarze Frau auf, weil sie Ähnlichkeit mit Grace Jones in Filmen aus den 70er Jahren hat. Es ist Mercy, eine der beiden Verschwundenen aus dem Heim. Die Sache kommt ins Rollen.

Die Geschichte handelt nicht nur von dem Mädchen, das vom Balkon stürzte, oder von Jonas, dem Kriminalbeamten. Sie handelt auch von Nova und Mercy, die wie Zwillingsschwestern sind, obwohl sie so unterschiedlich aufgewachsen sind, wie es überhaupt möglich ist, sie handelt von Jussi, einem üblen Stiefvater, von Love, einem bemühten und dennoch unbeholfenen Therapeuten, vom Vater des toten Balkonmädchens, von den Eltern des nigerianischen Mädchens, von Bruder und Onkel des Kriminalbeamten. Die Geschichte ist schon längst kein Kriminalfall mehr, sondern eher ein Psychogramm. Von sexuellem Missbrauch, Pädophilie, Flucht, Folter, Kinderpornografie bis hin zum Kannibalismus wird hier annähernd jede Anomalie menschlichen Verhaltens angesprochen. Dies ist nicht leicht zu lesen, auch wenn nahezu alle Personen ihre Entschuldigungen haben. Jeder kämpft mit seinen Dämonen. Der eine brüstet sich damit, immerhin besser zu sein als der „Kannibale von Rothenburg“, die Vergewaltiger und Peiniger in den Sexvideos reden sich ein, dass alles nur Schauspielerei ist, und dass die Kinder, Mädchen und Frauen das auch so wollen. Immerhin bekommen sie ja Geld dafür.

Kevin Jonass, der gebeutelte junge Kriminaler, der mit dieser Geschichte tief in seine eigene Vergangenheit eintaucht, hat in seiner Kindheit am eigenen Leib Missbrauch durch die Familie erlebt – hat durch seine Leidenschaft zum Film letztendlich diesen „Fall“ gelöst. Er sieht sich am Ende als tragische Filmfigur, sagt von sich, er sei Jake Gyllenhall in Brokeback Mountain. Von den beiden geschundenen Mädchen am Ende des Films sage ich: Sie sind Thelma und Louise.

Puppentod ist nach Scherbenseele der zweite Band der Kronoberg-Trilogie des schwedischen Autorenduos Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist. Erik Axl Sund haben sich hier wieder zusammengesetzt und alle Abartigkeiten, an die sie denken konnten, gemeinsam in Buchform gebracht und in Szene gesetzt. Das ist teils schwer zu lesen und zu ertragen. Hier muss man wieder sehr stark sein, damit einen das Buch nicht in seine Träume verfolgt. Aber das macht ja einen richtigen Thriller aus, oder? Ein Manko ist jedoch für mich, dass etliche Jahre vergangen sind, bis nach Band 1 der ersehnte zweite Band erschien. Auch ist Jens Hurtig, der damalige Hauptermittler, diesmal nicht mehr die Hauptfigur, was es mir irgendwie sehr schwer gemacht hat, in die Geschichte reinzukommen. Nichtsdestotrotz: Auf Band 3 wird gewartet.

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Erik Axl Sund: Puppentod
Goldmann Verlag , 9. März 2020
480 Seiten
Broschiert 12,99 Euro, eBook 9,99 Euro

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