Das Buch zum Film – wirklich nötig?

Shape of WaterAnfang des Jahres räumte Guillermo del Toros Mystery-Märchen The Shape of Water bei den Oscars gewaltig ab: Mit 13 Nominierungen war er einer der meist-nominierten Filme der Oscar-Geschichte; vier davon nahm er letztendlich mit nach Hause – unter anderem die heiß begehrten Kategorien Bester Film und Beste Regie. Nun kann man es der Industrie nicht verdenken, dass aus einem solchen Erfolg gern noch mehr Geld gemacht werden möchte, also folgte schnell der Roman zum Film, geschrieben von del Toro selbst mit Hilfe von Autor Daniel Kraus, der schon früher für Trollhunter mit dem Regisseur zusammengearbeitet hat. Aber hat’s das nun wirklich gebraucht?

Wenn man den Film kennt, ist die Geschichte natürlich keine große Überraschung: stumme, einsame Putzfrau verliebt sich in humanoides Amphibienwesen in einer streng geheimen Forschungseinrichtung und verhilft ihm zur Flucht. Das klingt nun wesentlich weniger romantisch und märchenhaft als die Geschichte tatsächlich ist, auch wenn das Setting erstmal – typisch del Toro – ziemlich abgefahren klingt.

Der Roman widmet den Hintergründen deutlich mehr Zeit. Wir folgen Richard Strickland auf eine 17-monatige Odyssee in den Dschungel, um die mysteriöse „Kreatur“ zu finden und einzufangen und erfahren, wie es Elisa im Kinderheim ergangen ist, und wie sie ihren Freund Giles, den erfolglosen Maler und Illustrator kennenlernt.
Als der Roman schließlich mit dem Geschehen des Films aufschließt, wird die breite Kluft zwischen den beiden Medien Film und Buch klarer. Die erste Begegnung Elisas mit der „Kreatur“ ist wunderbar beschrieben. Worte und Fantasie können hier doch noch durchaus mehr erreichen als ein Schauspieler im Gummikostüm, auch wenn die schauspielerische Leistung und die Spezialeffekte noch so gut sind.

Leider sind die Vorteile, die das geschriebene Wort bietet, nicht optimal ausgenutzt und falsch ausgespielt. Natürlich ist es schön, mehr Hintergrund zu haben. Stricklands rapider Abstieg in den Wahnsinn wird durch seinen Aufenthalt im Dschungel angemessen eingeleitet, auch die weitere Vorgeschichte sowie tiefgreifende Eheprobleme werden erläutert. Aber The Shape of Water zieht sich. Nebencharaktere wie Stricklands Frau, die im Grunde kaum Plotfunktion haben, werden detailliert ausgemalt, um dann zu verschwinden. Strickland selbst, der im Film ein wunderbar hassenswerter Bösewicht ist, hat plötzlich eine charakterliche Tiefe, die beim Lesen schon beinahe Mitleid hervorruft. Nun, das ist doch sicher gut? Jein. Denn The Shape of Water ist keine komplexe High Fantasy, keine charakterbasierte Kriminalgeschichte. Es ist in erster Linie ein Märchen, und in einem klassischen Märchen sind zu viele Nebencharaktere schlicht überflüssig und ein multidimensionaler Bösewicht, mit dem man sich identifizieren kann, unpassend. Ich will mich nicht mit der bösen Stiefmutter identifizieren können oder mit Rumpelstilzchen. Im Märchen hat für mich zu viel Komplexität keinen Platz. Und The Shape of Water ist vor allem das: ein modernes, düsteres Märchen, wie del Toro es bereits mit Filmen wie Pans Labyrinth geschaffen hat.

The Shape of Water ist angenehm geschrieben, aber nicht herausragend. Einige Szenen sind wunderbar, die Worte malen Bilder, zu denen ein Kamerateam nicht in der Lage wäre. Aber insgesamt versucht es, etwas ganz anderes zu sein als die Geschichte eigentlich ist, und das schmälert das Lesevergnügen massiv. Natürlich sind Filme Filme und Bücher Bücher, aber wenn man die Stärken und Schwächen der beiden gut kennt und geschickt einsetzt, kann man einen großartigen Film in ein wundervolles Buch übersetzen und umgekehrt. 150 Seiten, zwei Nebencharaktere und Seitengeschichten weniger, es hätte den Zauber des Filmes perfekt in ein anderes Medium umgesetzt. Aber so wird leider der Roman dem Film nicht gerecht. Unterhaltsam ist es trotzdem, und womöglich deutlich besser, wenn man den Film nicht als Vergleichsgrundlage kennt.

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Guillermo del Toro & Daniel Kraus: The Shape of Water
Knaur Verlag, 01.03.2018
Broschiert, 432 Seiten
16,99€
Ebook: 14,99€

Knaur Verlag

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