„Soylent Grün ist Menschenfleisch!“

New-York-1999Wer kennt es nicht, dieses dramatische Sample aus dem Wumpscut-Song „Soylent green“. Das stammt im Original aus dem 1973 veröffentlichten Film Soylent Green von Richard Fleischer (deutscher Titel: … Jahr 2022 … die überleben wollen). Der überaus sehenswerte Film wiederum basiert auf dem Roman New York 1999 (Make room! Make room! im Original) von Harry Harrison, dessen düstere Zukunftsvision bereits 1966 erschienen ist, hier übersetzt von Tony Westermayr und Wolfgang Jeschke.

August 1999. Es ist erbärmlich heiß, und mit 35 Millionen Menschen platzt New York City aus allen Nähten. Die Stadt hat sich zu einem riesigen Slum entwickelt. Die Menschen leben von der Lebensmittelfürsorge, die vor allem aus gepressten Nährkeksen und zugeteilten Wasserrationen besteht. Lediglich die oberen 10000 leben noch immer in Saus und Braus, denn die reiche Elite bleibt wie in einer Parallelwelt unter sich und kann dank ihres Geldes den Lebensstandard mühelos halten. Mittendrin im Chaos befindet sich der Polizist Andy Rusch, der zusammen mit seinen Kollegen versucht, das letzte bißchen Ordnung aufrechtzuerhalten. Doch eigentlich können sie nur noch an der Oberfläche kratzen, und die meisten Verbrechen bleiben unaufgeklärt. Andy lebt in einer Wohngemeinschaft mit dem alten Sol, der noch die alte Welt kennt.

Der 18-jährige Billy Chung ist ein Gelegenheitsdieb, was nichts Besonderes mehr ist, sondern die Regel. Alle versuchen irgendwie zu überleben. Bei einem Einbruch in die Wohnung der lokalen Gangstergröße Big Mike O’Brian wird er von diesem trotz sorgfältiger Planung überrascht. In Panik tötet er Big Mike und ist seitdem auf der Flucht. Andy Rusch wird mit der Aufklärung des Mordes beauftragt, der in gewissen Kreisen für Aufregung sorgt, und lernt so Shirl Green kennen, die junge und bildhübsche Lebensgefährtin des Opfers. Sie erwählt Andy zu ihrem neuen Beschützer und Ernährer. Kann diese Beziehung auf Dauer funktionieren in diesem beengten Wohnverhältnis zusammen mit Sol, wo Shirl noch dazu aus der geschützten Blase der Luxuswelt kommt und keinen Mangel kennt? Und wird es Andy gelingen, den flüchtigen Billy in dem Moloch New York aufzuspüren, in dem es Millionen Versteckmöglichkeiten gibt?

Die beiden Handlungsstränge der Beziehung von Andy und Shirl und der Flucht von Billy sind durch den Mord an Big Mike miteinander verbunden. Gleichzeitig zeichnet Harrison eine überaus düstere und dystopische Sozialstudie einer einst reichen Nation, in der durch übermäßigen Ressourcenverbrauch und Misswirtschaft alle ums Überleben kämpfen. Die Menschen verhungern in den Straßen, während die Reichen auf dem Schwarzmarkt alles kaufen können. Während der Roman seine Faszination allein mit der Beschreibung der elenden Lebensumstände erreicht, wurde der Film um das Motiv des Kannibalismus erweitert, um eine größere Schockwirkung beim Kinopublikum zu erzielen.
Fun Fact am Rande: Soilent Grün war der Name einer Anfang der 80er äußerst erfolgreichen Punkband, deren Mitglieder Bela B. Felsenheimer und Farin Urlaub anschließend Die Ärzte gründeten und seitdem vor sich hin dümpeln.

Fazit: 1999 ist bereits Geschichte und 2022 steht demnächst an. Wie sieht die Realität heute aus? Die Probleme sind allgegenwärtig: Überbevölkerung, Ressourcenmangel, Energieprobleme, Wasserknappheit und Nahrungsmangel sind in verschiedenen Teilen der Welt längst Realität. Ebenso das Zusammenpferchen von Menschen auf engsten Raum, man muss nur die Slums beispielsweise in Mexico City, Sáo Paulo oder Bombay betrachten oder die krass verdichteten Wohntürme von Hong Kong. Im endgültigen Zeitrahmen hat sich Harry Harrison mit der düsteren Dystopie New York 1999 vielleicht um 100 Jahre verschätzt, aber letzten Endes erscheint seine Vision keinesfalls als blanke Science Fiction, sondern erschreckend plausibel.

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Harry Harrison: New York 1999
Heyne, Vö. 28.08.2014
E-Book 5,99 €
Homepage: https://www.penguinrandomhouse.de/ebook/New-York-1999/Harry-Harrison/Heyne/e445241.rhd

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