Lovecraft’scher Horror im 21. Jahrhundert

Carter & LovecraftNew York wird von einem Serienmörder heimgesucht. Der Täter wählt ausschließlich kleine Jungs und unterzieht sie dann unaussprechlichen Experimenten am offenen Gehirn. Selbst für harte Kerle wie Cop Dan Carter ist das ein schwieriger Fall, doch der „Kinderfänger“ ist nur der Anfang. Der Fall scheint gelöst, als Carter und sein Partner Hammond einer neuen Spur folgen, den Täter erwischen und erschießen. Doch während Carter Verstärkung ruft, nimmt Charlie Hammond seine eigene Waffe in den Mund und schießt sich ein Loch in den Kopf. Das war’s für Carter – er schmeißt den Job bei der Polizei hin und wird Privatermittler. Doch als plötzlich ein Anwalt mit einem unerwarteten Erbe vor der Tür steht, das sich als ein Buchladen in Providence, Rhode Island, herausstellt, und jemand versucht, ihn in einen mysteriösen Mordfall hinein zu ziehen, verliert sich Carter bald in einer Welt jenseits seiner Vorstellungskraft. Gemeinsam mit Emily Lovecraft, Buchverkäuferin und nun seine Geschäftspartnerin, versucht er verzweifelt, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.

Wie üblich fackelt Howard nicht lange, um ins Geschehen einzusteigen. Innerhalb weniger Kapitel hat sich Charlie Hammond den Kopf weggeblasen, Dan ist Detektiv und hat einen Buchladen geerbt. Andere Autoren würden aus diesem Stoff allein einen ganzen Roman schreiben, aber in Howard’s wunderbar rasantem Erzählstil ist das gerade mal die Einleitung ins Geschehen. Die Geschichte wirkt dabei aber nicht gehetzt, sondern nur packend und mitreißend.

Die erste Hälfte von Carter & Lovecraft ist eher eine Detektivgeschichte, obwohl vom ersten Moment an klar ist, dass sich etwas hinter den Kulissen verbirgt, das nicht nur nicht von unserer Welt ist, sondern ganz und gar außerhalb allem, was wir uns vorstellen können. Genau das bringt diesen Roman so nah an seine literarische Inspiration heran, das Werk von H.P. Lovecraft. Dieser Horror ist nicht splatterig, Menschen werden nicht von Monstern gefressen oder von Psychopathen in verfallenen Häusern umhergejagt. Vielmehr fußt er auf einem fundamentalen Unvermögen des Menschen, zu verstehen, was eigentlich geschieht, und der Konfrontation mit etwas, das so viel größer, älter und mächtiger ist, dass wir schlicht in unserer Unwichtigkeit untergehen. Der Horror basiert auf einem tiefen Unbehagen in der menschlichen Seele, der leisen Angst, dass wir die Welt grundlegend missverstehen und ihrer Gewaltigkeit geistig überhaupt nicht gewachsen sind. Die Welt, die in Carter & Lovecraft nur durch ein mysteriöses Phänomen namens „Verdrehung“ zurückgehalten wird, ist so fremd und unvorstellbar, dass es schlicht nicht in Worte zu fassen ist.

Natürlich bietet Carter & Lovecraft aber genug Futter für klassische Mystery: einige unerklärliche Todesfälle, eine unerwartete Erbschaft, eine verdächtig schicke Kleinstadt. Dazu beunruhigende Alpträume, eine Klingel, die von allein klingelt, und schon hat Howard uns fingernägelkauend an sein Buch gefesselt. Dabei erhält er sich natürlich seinen einmalig zynischen, bösen Humor, den flüssigen Stil mit genau der richtigen Menge Flapsigkeit und die Fähigkeit, in ein ernstes Gespräch plötzlich einen dummen Spruch einzubauen, ohne fehl am Platze zu wirken. Carter & Lovecraft ist zwar eine ganz andere Sorte Buch, als die aberwitzige Achterbahn, auf die uns die Johannes Cabal Reihe (Rezensionen gibt’s hier) mitnimmt, ist aber auf eine ähnliche Art fesselnd und genial.

Carter & Lovecraft ist ein großartiger Auftakt zu einer Reihe, von der ich mir sehr viel verspreche. Auch ohne viel Hintergrundwissen zu H.P. Lovecraft ist es fesselnde Mystery mit sympathischen Charakteren und genialen Ideen, die weit über 0815-Horror hinausgehen. Es endet mit einem gemeinen Cliffhanger, doch keine Sorge – den Alten sei Dank hat Jonathan L. Howard die Fortsetzung schon fast in trockenen Tüchern und sie soll im November auf Englisch erscheinen, unter dem verheißungsvollen Titel After the End of the World. Ich persönlich kann es kaum erwarten.

Jonathan L. Howard pflegt, wenn er nicht gerade Bücher schreibt oder mit finsteren Mächten kommuniziert, einen unterhaltsamen Twitter Account und der besonders geneigte Leser kann ihn direkt auf Patreon unterstützen.

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Jonathan L. Howard – Carter & Lovecraft: Das Erbe
Cross Cult Verlag, 2016
380 Seiten
€ 18,00
Ebook: € 7,99

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