Was ist das, Liebe?

Klara ist ein ganz besonderes Mädchen. Still, freundlich, aufmerksam nimmt sie alles in sich auf, beobachtet mit Hingabe, analysiert Situationen, lernt daraus. Sie ist aber kein Mensch, sie ist eine KF, eine künstliche Freundin, geschaffen, um einem jungen Menschen auf dem Weg zum Erwachsensein zu begleiten.

Sie ist ein B2, und mittlerweile stehen in dem Laden, in dem sie ausgestellt ist, sogar schon B3s zur Verfügung, die in ihrer Entwicklung schon weiter sind. So ist es Klara sehr wichtig, trotz all ihrer Bescheidenheit Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das gelingt natürlich im Schaufenster besser als in der Ladenmitte oder gar ganz hinten im Laden. Außerdem gibt es im Schaufenster viel mehr Sonne, und diese ist für Klara überlebenswichtig. Eines Tages kommt die junge Josie mit ihrer Mutter am Laden vorbei und bleibt stehen. Schon hier, durch die Fensterscheibe getrennt, bemerkt Klara eine gewisse Verbindung. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als von diesem jungen Mädchen und ihrer Mutter geholt zu werden. Tatsächlich passiert dies auch! Klara kommt zu Josie, Mutter und Melania Haushälterin in ein schönes, etwas abgelegenes Haus. Klara war noch nie außerhalb des Ladens, und alles ist sehr aufregend. Aber ihre Hauptaufgabe ist es ohnehin, sich um die kränkelnde Josie zu kümmern, was sie aufopfernd tut. Anfangs besteht eine große Freundlichkeit seitens Josie, doch mehr und mehr merkt Klara, dass Menschen nicht immer geradlinig sind oder Versprechen halten. Dennoch tut sie alles, was sie kann, für Josie und ihre Familie, auch wenn sie gar nicht richtig weiß, wie, warum, und wie alles enden wird.

Der 1954 in Nagasaki geborene Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro kam 1960 nach London, wo er seitdem lebt. Eins haben viele seiner Romane gemeinsam: Die Hauptfigur gibt sich gänzlich auf zum Wohle anderer. Das war in dem Weltbestseller Was vom Tage übrigblieb so, verfilmt mit Anthony Hopkins, wie auch in Was wir geben mussten, wo Keira Knightly und all die anderen ihre Organe hergeben mussten. Klara ist gemacht für das Wohl junger Heranwachsender, diese Aufgabe nimmt sie hingebungsvoll an. Es ist ein detailreicher, feinfühliger Roman, der sich mit der nahen Zukunft und dem Leben mit KIs auseinandersetzt. Gerne hätte ich etwas mehr von dem Leben der „Anderen“ erfahren, derer, die nicht „gehoben“ wurden, die ein einfacheres Leben in der Zukunft leben mussten. Denn dieser Roman ist so realistisch, dass dieser Handlungsstrang höchstwahrscheinlich unsere echte Zukunft aufgezeigt hätte. Lesenswert!

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Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne
Übersetzung: Barbara Schaden
Karl Blessing Verlag,  Vö. 10. August 2022
Paperback: 352 Seiten
16 Euro / eBook: 12,99 Euro

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