Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge

Die-AlmWer schon einmal während einer Wanderung auf einer bewirtschafteten Alm Rast gemacht hat, kennt das sicherlich auch: Man genießt eine Halbe bei toller Aussicht ins Tal, die Kühe grasen in der Sonne, die Glocken bimmeln sanft, man erholt und entspannt sich und entflieht dem Alltag. Kindheitserinnerungen an die Zeichentrick-Serie Heidi werden wach. Doch der Moment kommt unerbittlich, an dem man wieder zurück muss, und beim Abstieg kommen die Gedanken, was wäre, wenn man bliebe – hoch droben auf der Alm, fern vom Alltag und dem Stress, den dieser mit sich bringt? Was erwartet die Menschen, die dem Ruf der Berge dauerhaft folgen und Senn oder Senner*in werden?

Das ist kein Thema, das sich in einem kurzen Gespräch auf der Alm klären lässt, zumal in der Regel ja auch auch andere Wanderer bewirtet werden müssen. Daher hat sich die Sennerin Martina Fischer des Themas angenommen und nach mehreren Almsommern Erfahrung dieses Buch geschrieben, in dem sie ihren Alltag auf der Alm beschreibt. Schnell wird klar, dass das oberflächliche romantisch anmutende Klischee durchaus stimmen mag, aber vor allem besteht das Almleben aus Arbeit – viel und harter Arbeit.
Um das Tagespensum schaffen zu können, klingelt der Wecker erbarmungslos um halb fünf in der Frühe. Da hat noch nicht mal der Hahn gekräht. Als erstes wird der Butter mittels Handkurbel gemacht, denn es darf dafür nicht zu warm sein, bevor es daran geht, die Kühe zu melken. Doch die müssen dafür erst auf dem Almgebiet gefunden werden. Weiter geht es mit der Käseherstellung und Brot backen. Auch der Stall muss täglich ausgemistet werden, und das Wichtigste ist das Zählen der Koima, der jungen Kälber. Nicht selten vergehen drei Stunden, bis alle gefunden sind, und dabei geht es bergauf, bergab, quer durch das gesamte Almgebiet. Wanderer möchten zwischendurch auch noch bewirtet werden, und nicht zuletzt müssen die Kühe ein zweites Mal gemolken werden.
Angereichert wird das Buch mit persönlichen Anekdoten und anschaulichen Fotos, und auch einige Rezepte zum Nachkochen dürfen nicht fehlen, damit man sich auch ein Stückchen Alm nach Hause holen kann. Natürlich wird auch geklärt, warum der Almbutter ein männliches Substantiv ist.

Fazit: Ich fand es sehr interessant, den Schilderungen von Martina Fischer zu folgen. Gerade auch deshalb, weil sie abseits der reinen Arbeitsbeschreibung ihre persönlichen Erlebnisse mit einfließen lässt und man so sehr gut nachvollziehen kann, warum sie das Leben auf der Alm trotz der vielen Arbeit und den Entbehrungen so glücklich macht, und warum es sie immer wieder im Sommer auf die Alm zieht. Dann spürt man es wieder: „Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge.“
Dabei ist das Almleben wahrlich kein Zuckerschlecken. Ich könnte es mir vorstellen, als einwöchige Auszeit auf einer Alm mitzuarbeiten und auszuhelfen, um etwas tiefer in die Welt der Berge einzutauchen. Aber definitiv nicht in Vollzeit und mit voller Verantwortung. Nachdem man weiß, was alles dahintersteckt, weckt das tiefen Respekt für die Arbeit der Senner*innen.

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Martina Fischer: Die Alm
Goldmann, Vö. 21.06.2021
Taschenbuch, Klappenbroschur, 240 Seiten
12,00 €, als Ebook 9,99 €, erhältlich über Penguin Randomhouse
Homepage: https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Die-Alm-Ein-Ort-fuer-die-Seele/Martina-Fischer/Kailash/e490010.rhd

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