Culture Clash in London

Yasmin Ghorami und Joe Sangster wollen heiraten, und beide Familien sollen sich kennenlernen. Yasmins Familie ist eine traditionelle Familie aus Bangladesch, die sich in London ein Leben aufgebaut hat. Der Vater arbeitet, die Mutter kümmert sich um die Familie und den Haushalt. Ganz anders sieht es bei der Familie Sangster aus. Joes Mutter Harriet ist eine arbeitende, alleinerziehende, selbstständige und freizügige Frau. Denn während bei den Ghoramis der Fernseher in dem Moment ausgemacht wird, wo zwei Münder im Begriff sind, sich zu küssen, ist Harriet Sangster eine bekannte Feministin, von der pikante Fotos ihrer nackten Genitalien im Internet kursieren, entstanden vor Jahren bei einer Demonstration gegen die Pornokultur. Irgendwie wird es Yasmin doch allmählich mulmig bei dem Gefühl, dass sie sich nun alle zum ersten Mal bei einem Dinner gegenübersitzen sollen.

Hoffentlich benehmen sich die Eltern. Doch die Kleidung, die sie sich für den Abend aussuchen und dann die vielen eingetupperten indischen Gerichte als Mitbringsel – es verspricht peinlich zu werden! Ironischerweise wird es ein vergnüglicher Abend, vor allen Dingen für die Mütter, die sich bestens verstehen.

Liebesheirat beginnt als Komödie. Der Aufhänger ist eine Hochzeit, was schon in den Romanen von Jane Austen für Komik sorgte. Doch das Buch entwickelt sich zu einem großen Roman über Liebe, Familie, Freundschaften, Sex und alles, was zum Leben dazugehört im modernen Großbritannien. Denn der Umgang mit Sexualität ist nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden Familien. Auch „autoritärer indischer Vater trifft auf liberale Feministin“ ist nicht das alleinige Thema. Alle Beteiligten bekommen ihre Abrechnung. Wie es um die Ghoramis und die Sangsters steht, vor allem um die jungen Leute, erfährt man nach und nach aus kleinen Kapiteln um die Arbeit, um Kolleg*innen und Freund*innen, Verwandtschaft und den nichtsnutzigen Bruder Yasmins. Nach und nach erfährt die Leserschaft, dass die junge Braut wie auch der junge Bräutigam keine leichte Kindheit hatten. Obendrauf geht Joe fremd, Yasmin erfährt es und tut es auch. Monica Ali lässt Joe und Yasmin hadern und hoffen. Themen wie Gender, Klasse, Politik und Rassismus, Brexit, Islamophobie, all das passt in diesen quicklebendigen Multi-Kulti-London-Roman. Ein kranker Säugling bringt letztendlich alle Hauptbeteiligten an einem Ort zusammen. Traumata und Lügen werden aufgedeckt, und Yasmin erfährt nach all den Jahren, wie es zu der Heirat zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater kam. Es wird bewegend und ergreifend, und es gibt auch eine Hochzeit. Aber nicht so, wie ich es mir am Anfang vorgestellt hatte. Das Leben ist eben nicht einfach!

Brick Lane, Monica Alis erster Roman, ist fast 20 Jahre alt. Das Schicksal der jungen Frau, die in Bangladesch aufgewachsen ist, verheiratet wurde und nach London gehen musste, hat mich damals sehr aufgewühlt. Die Welt ist 20 Jahre weiter, und Yasmin in Liebesheirat ist sehr viel emanzipierter. Dennoch kommt mir die Geschichte wie eine langersehnte Fortsetzung aus der Feder Monica Alis vor. Ich war versunken in diese andere Welt, die gar nicht so weit von mir entfernt ist, und es hat großen Spaß gemacht, davon zu lesen.

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Monica Ali: Liebesheirat
Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
Klett Cotta, Vö. 19. März 2022
Gebundene Ausgabe: 592 Seiten, 25 Euro
eBook: 19,99 Euro

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