Ein verstörendes Psychogramm


In seinem Erstlingswerk Nachruf auf den Mond geht Nathan Filer ein literarisches Wagnis ein. In eindringlichen Worten schildert er aus der Perspektive des Ich-Erzählers, in Schnipseln aus seinem Tagebuch und einzelnen Einblicken in sein Leben, wie seine Hauptperson immer tiefer in eine Schizophrenie versinkt, sich selbst gleichsam immer mehr verliert. Gleichzeitig steht der Leser vor einem Rätsel: Offensichtlich kam vor Jahren Simon, der Bruder des Erzählers, auf tragische Weise ums Leben, was nun auch die psychische Krankheit mit ausgelöst hat. Aber wie das Unglück geschah, warum nun Simons Gesicht im Mond erscheint, und was das Ganze mit dem Bau einer Ameisenfarm im Wohnzimmer zu tun hat, das erfährt der Leser erst nach und nach.

Filer hat sein Debüt im Rahmen eines Creative-Writing-Studiums verfasst, und das merkt man deutlich. Die Geschichte ist sorgfältig konstruiert, der Spannungsbogen hält über die Länge des Textes, die Figuren sind allesamt sauber ausgearbeitet, und Filer bleibt konsequent in der Sicht seines teilweise psychotischen, teilweise mit Psychopharmaka vollgepumpten Protagonisten. Nachruf auf den Mond ist keine angenehme Reise in die Tiefen der menschlichen Psyche, ja stellenweise ist der Roman beinahe verstörend. Und doch ist er wichtig. In den allermeisten Fällen sind psychisch Kranke Nebencharaktere, aber wirklich ihre eigene Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählen dürfen sie so gut wie nie. Dabei wird nur aus dieser Perspektive klar, wie vielschichtig diese Krankheiten sein können und wie beklemmend das langsame Abgleiten wohl sein muss. Filer schildert die Verzweiflung seines Protagonisten absolut glaubhaft – immerhin hat er vor seinem Wechsel zur Schreiberei als Pfleger in einer Psychiatrie gearbeitet.
Ein wichtiges Thema in Nachruf auf den Mond sind auch die Kürzungen in der Versorgung psychisch Kranker: Am Ende wird die offene Einrichtung, die dem Protagonisten einen Tagesrhythmus, so etwas wie ein Alltagsleben, ermöglicht, wegen Geldmangels geschlossen. Zurück bleibt ein sprachloser Leser. 320 Seiten lang hat man mit ihm gebangt, für ihn gehofft – und nun ist seine Zukunft unsicherer denn je. Am Ende gibt es in diesem Text nur Verlierer, die Familie ist ein für alle Mal zerstört und so etwas wie ein Happy End scheint weiter entfernt als besagter Mond.

Dieser Roman ist sicherlich keine lustige Bettlektüre. Er rüttelt auf, schockt, verstört – und ist dabei absolut genial geschrieben. In der Übersetzung geht kaum eine Nuance aus dem englischen Original verloren, das mit der Wahl der Ausdrücke und sprachlichen Wendungen den jeweiligen Geisteszustand des Protagonisten noch unterstreicht. Man sieht also, ein MA Creative Writing kann sich durchaus rentieren.

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Nathan Filer: Nachruf auf den Mond
Droemer, 2015
320 Seiten
19,99 €
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