Dieses verrückte kleine Ding namens Liebe

Es gibt einen tollen Film über Freddie Mercury und Queen, Bohemian Rhapsody, aus dem Jahr 2018. Rami Malek hat dafür sogar den Oscar für die männliche Hauptrolle bekommen. Doch seine Münchner Jahre sind in ungefähr zehn Minuten abgehandelt, und sie werden als die Jahre des Abkapselns von Queen dargestellt, Jahre, in denen Freddie hauptsächlich Alkohol und Drogen frönt und ansonsten nicht mehr richtig viel zustande bringt. Das ist reichlich ungerecht, fand Literatur-, Musikkritiker und Buchautor Nicola Bardola und begab sich auf Spurensuche in München.

Fakt ist, das hat Bardola auf seiner Suche herausgefunden, dass sich Farrokh Bulsara, der spätere Freddie Mercury, von 1979 bis 1985 sehr oft, wenn nicht sogar die meiste Zeit, in München aufhielt. Schon 1974 waren Queen zu zwei Konzerten in München. Sie trennten sich 1978 von ihrem Manager, und zu den neuen Regeln, um Geld am britischen Fiskus vorbei zu schleusen, gehört, sich an dreihundert Tagen im Jahr außerhalb von Großbritannien aufzuhalten. Freddie ist gerne in Nizza, genießt Käsefondue in Montreux, aber München genießt er am meisten. Mit dem „Spartacus Guide“ sucht und findet er Bars und Clubs, in denen es anders zugeht, als er es gewohnt ist. München ist für ihn ein wahrer Ort der Freude. Es ist 1979 als alles so richtig beginnt. Freddie genießt sein Schaumbad in der Badewanne seiner riesigen Präsidentensuite im Hilton Hotel am Tucherpark. Hier hat er die Idee zu „Crazy little thing called love“. Gleich drüben in den Musicland-Studios des Arabella Hochhauses nimmt er schon mal Gesang und Gitarre auf. Ein halbes Jahr später ist der Song in den USA auf Platz eins. „Mehr Drinks!“ gönnt Freddie seinen Bandkollegen mitsamt Gefolge an dem Abend, als sie in München in einer Kneipe davon erfahren. Es ist nur der erste von vielen musikalischen Höhepunkten. Queen entwickeln sich zu einer der erfolgreichsten Rockbands der Welt, und auch viele Solosongs entstehen hier in München. Freddie entwickelt sich optisch immer mehr zu dem, wie wir ihn am Ende kannten: weg von den schwarzen Fingernägeln und langen Haaren, der schwarzweißen Harlekin-Hose, hin zu kurzen Haaren, Lederjacke und Schnauzer, Vorbild ist der Polizist im „Y.M.C.A.“-Video der Village People. Freddie hat Anfang 1979 zwei Konzerte in München und danach zwei Tage Zeit, die Stadt zu erkunden. Die Deutsche Eiche wird besucht, der Ochsengarten, das Pimpernell. Er fühlt sich wohl. Er sieht auch die sportlichen Surfer auf der Eisbachwelle am Haus der Kunst. Die ganze Stadt gefällt ihm. Er ist auch gerne am Viktualienmarkt, Kay’s Bistro hat es ihm angetan, hier hat er wohl Barbara Valentin kennengelernt, und außerdem sind es von hier aus nur ein paar Minuten bis zum Pimpernell. Freddie ist wahnsinnig gerne im Glockenbachviertel, er fühlt sich hier wohl, auch weil er weiß, dass gleichgeschlechtliche Zuneigung dort möglich ist und in der Öffentlichkeit nichts passieren wird. Passend wäre ja wirklich gewesen, wenn im Glockenbachviertel statt im Kreativquartier an der Dachauer Straße eine kleine Straße nach Freddie benannt worden wäre. Hier war sein zweites Wohnzimmer, hier hat er sich wohl gefühlt. Gereicht hat es nur für ein Graffiti auf einem Klohäusl am Holzplatz, wenngleich das auch sehr schön und er dort in bester Gesellschaft ist: Albert Einsteins und Rainer Werner Fassbinders Konterfeis sind ebenfalls da drauf. 1980 wird in München das Album The Game promoted, mit dem Mega-Hit „Another one bites the dust“. Nach einem Konzert in der ausverkauften Olympiahalle wird ins Sugar Shack gegangen. AC/DC und die Scorpions sind auch da. Das Sugar Shack ist ganz klein und versteckt. Man muss an einem Türsteher vorbei, der nicht richtig sehen kann, es heißt dann beispielsweise, „das ist der Dirk, der hat den Mike Oldfield dabei.“ Wenn man sich das heutzutage auf der Zunge zergehen lässt … Wahnsinn. Der Produzent Reinhold Mack wird zu einem engen Freund Freddies. Dieser wird fast Familie, Mercury verbringt viel Zeit mit den Macks in Gräfelfing, geht mit Macks Frau Ingrid shoppen und wird später der Patenonkel von Mack junior. Er bleibt ihm bis zum Lebensende ein echter Onkel, wird vom Kleinen nach dem Song „Radio Ga Ga“ Onkel Ga Ga genannt. 1981 hat Freddie wahrscheinlich Winnie Kirchberger, seine spätere große Liebe, und Barbara Valentin kennengelernt. Mit Barbara ist er jahrelang eng verbunden, man munkelt gar von Liebe und Heirat. Zumindest gibt es mit ihr auch einige Star-Erlebnisse. Freddie ist mit einigen Freunden bei Barbara in der Wohnung. Es gibt viel Koks. Die Polizei klingelt an der Tür. Barbara setzt sich auf das Koks. Einer der Polizisten erkennt Freddie und fragt nach einem Autogramm. Freddie gibt es ihm, die Polizisten gehen. Danach wird mit einem langen Messer vorsichtig mit der Klinge das Koks von Barbaras Hintern gekratzt. Mit Barbara wischt er auch Böden und spült Gläser, als frühmorgens das Heiliggeiststüberl noch nicht vorzeigfähig ist. Zum Dank gibt’s danach Weißwürste und Butterbrezen. 1982 wird in den Musicland Studios Freddies sechsunddreißigster Geburtstag gefeiert. Tortenlieferant ist Bodo E. Müller von Bodo’s Backstube am Sendlinger Tor. Die Torte besteht aus „rosig-runden Marzipan-Pobacken, aus deren Mitte eine dicke Kerze emporragt“. Bodo wird von nun an Freddies erste Adresse bei Heißhungerattacken auf Süßes. Leider kommt dann irgendwann ein Virus mit dem Namen Aids daher. Man muss aufpassen. Auch Prominente sterben. Doch erstmal ist Freddie von 1983 bis 1985 mit dem österreichischen Wirt Winnie Kirchberger in einer Beziehung. Sie wohnen am Sebastiansplatz, schenken sich gegenseitig Ringe und bezeichnen sich als verheiratet. 1985 ist noch einmal ein Highlight in Freddies Schaffensperiode in München. An seinem 39. Geburtstag entsteht im „Old Mrs. Henderson“, der jetzigen Paradiso Tanzbar, das Video zu seiner Solosingle „Living on my own“. Freddie, die Rampensau, fühlt sich hier im Bermuda-Dreieck im Glockenbachviertel einfach wohl. Freddie hat danach einen neuen Lover, Jim, und fragt diesen, ob er mit ihm nach München ziehen will. Daraus wird aus verschiedenen Gründen nichts, und Freddies beste Jahre neigen sich dem Ende zu, auch wenn man ihm seine Aids-Erkrankung noch nicht so richtig ansieht. Er bleibt in London. Ab und zu ist er noch in München und schaut nach alten Freunden, aber das letzte Mal war wohl 1989. Er ist schon sehr krank. Von nun an gibt es nur noch Erinnerungen an seine Münchner Zeit.

Freddie Mercury hatte am 5. September Geburtstag, er wäre 2021 75 Jahre alt geworden. Nun jährt sich am 24.11. sein Todestag zum dreißigsten Mal. Das mag man kaum glauben, denn Queen und Freddie Mercury sind immer noch überall präsent. Man muss nur einmal nach einem wichtigen Sieg des FC Bayern am Marienplatz sein. „We are the champions“ tönt es aus allen Kehlen.

Das 432 Seiten dicke Buch Mercury in München – Seine besten Jahre enthält 94 Schwarzweiß-Abbildungen, einen 16-seitigen Fototeil und zwei Karten, auf denen die Orte in München vermerkt sind, die in Freddie Mercurys Leben eine wichtige Rolle gespielt haben. Man kann selbstständig den einzelnen Stationen nachgehen. Nicola Bardola dokumentiert akribisch Freddies Zeit in München, er listet seine Wohnungen auf, seine Bekannten, Kontakte, Freund*innen und Liebhaber, er zeigt Fotos zahlreicher Dokumente und Originale wie der verschwitzten Hose nach einem Konzert im Olympiastadion, die es im Münchner Rockmuseum zu sehen gibt. Nicola Bardola hat mit Musikern, Produzenten, Gastronomen und anderen Weggefährten des Briten gesprochen.

Ich würde nun auch sagen: Freddie Mercurys Jahre in München waren – zumindest mit – seine besten.

Siehe auch den sehr vergnüglichen Presserundgang im Glockenbachviertel mit dem Autor: KLICK

Nicola Bardola: Mercury in München – Seine besten Jahre
Heyne Hardcore , Vö. 20.09.2021
432 Seiten
Gebundenes Buch: 24 Euro, eBook: 18,99 Euro

 

(1972)