oliver-sacksVom Mann, der immer unterwegs war und spät erst ankam

 

Oliver Sacks, der berühmteste Neurologe der Welt, hat mit 80 Jahren eine spannende Autobiografie geschrieben und dabei mutig und schonungslos sein ganzes berufliches wie privates Leben preisgegeben.

1933 in London in eine jüdische Medizinerfamilie hineingeboren, studiert er später auch Medizin. Sacks hat ein enges Verhältnis zu seinen Eltern, und so teilt er ihnen als junger Mann auch mit, dass er homosexuell ist. Das war damals eine Straftat – und eine Sünde noch dazu. „Du bist ein Gräuel“, sagt seine Mutter „Ich wünschte, du wärest nie geboren worden.“ Dennoch vertraut er weiter seinen Eltern und schreibt ihnen Briefe von unterwegs, bekommt jegliche Art der Unterstützung. Er ist ein leidenschaftlicher Motorradfahrer, hat aber regelmäßig Unfälle, die dazu führen, dass er danach größere und sicherere Maschinen fahren darf.

Zum Studieren geht Sacks in die USA. Er lebt zuerst in San Francisco, dann in New York. Er forscht und ist praktizierender Arzt, wenn auch öfter ein wenig zerstreut. Für seine Forschungen sammelt er beispielsweise wie verrückt Proben, verunreinigt sie dann jedoch versehentlich mit Hamburgerkrümeln und macht sie damit unbrauchbar. Er schreibt Tag und Nacht an Notizen für ein Projekt, verliert diese dann aber auf der Motorradfahrt ins Institut und kann nur noch zusehen, wie Autos über das Notizheft fahren und es zerstören.
Mit sich selbst geht er ähnlich unvorsichtig um, sei es auf seinen exzessiven Motorradfahrten, im leichtfertigen Umgang mit den Hells Angels oder beim Schwimmen.
Alkohol, meint er als junger Mann, würde ihn lockerer und umgänglicher machen, zu viel davon führt aber nur dazu, dass er den ersten Sex seines Lebens im Vollrausch gar nicht mitbekommt.

In Kalifornien lebt er ein unbeschwertes Leben, freundet sich mit Männern vom Muscle Beach an, wird selbst zum Super-Bodybuilder, aber wieder einmal exzessiv und ungesund, wie er von jeher alles gemacht hat. Er experimentiert ziemlich heftig mit Drogen und bleibt etliche Jahre am Amphetamin hängen. Nach ein paar Jahren sucht er sich einen Therapeuten, um davon loszukommen, und sie treffen sich nach fast 50 Jahren immer noch zweimal in der Woche und sprechen sich mit Dr. Sacks und Dr. Shengold an.

Seltsame neurologische eigene Erlebnisse und Fallstudien von Patienten verarbeitet er später in Büchern wie Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte und Awakenings, Zeit des Erwachens, das mit Robert De Niro als Opfer der Europäischen Schlafkrankheit und Robin Williams als dessen Arzt verfilmt wird. Mit ihm pflegt er eine lebenslange Freundschaft.
Sacks‘ Fallstudien in den populären Büchern mit den skurrilen Titeln machen ihn weltberühmt. Obwohl er immer noch praktiziert, ist das Schreiben sein Leben.

Oliver Sacks, ein freundlicher und leidenschaftlicher Mensch, hat zwar ein paar kurze sexuelle Abenteuer, die Liebe wird ihm aber erst spät begegnen. An seinem 40. Geburtstag trifft er einen Mann, und sie verbringen eine intensive Woche miteinander. Und was er darüber schreibt, zerreißt einem fast das Herz: „Gut, dass ich die Zukunft nicht kannte, denn nach dieser zauberhaften Geburtstagsliebschaft hatte ich fünfunddreißig Jahre lang keinen Sex mehr.“ Sacks hat erst im Alter von 75 Jahren die Liebe seines Lebens kennengelernt, Billy, dem er das Buch widmet. Mit ihm kann er die schönen Dinge erleben wie: „Ruhig in den Armen eines anderen zu liegen, zu reden, Musik zu hören oder gemeinsam zu schweigen“. Sie lernen miteinander zu kochen, und nicht nur immer Müsli aus der Packung zu essen und Ölsardinen aus der Dose im Stehen.

Aber da ist dann dieses Melanom in einem Auge, das vor Jahren erfolgreich operiert wurde. Es hat gestreut und Metastasen in der Leber gebildet. Im Februar 2015 schreibt Sacks in der New York Times über seine tödliche Erkrankung: „Ich kann nicht behaupten, ohne Furcht zu sein. Aber mein vorherrschendes Gefühl ist das der Dankbarkeit. Ich habe geliebt und bin geliebt worden; mir wurde viel gegeben und ich habe etwas zurückgegeben; ich habe gelesen und bin gereist und habe gedacht und geschrieben.“ Seine letzte Fallstudie, so sagt er selbst, wird er wohl selbst sein.

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Oliver Sacks – On the Move: Mein Leben
Übersetzer: Hainer Kober
30. Mai 2015
448 Seiten
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Verlag: Rowohlt
Gebundene Ausgabe EUR 24,95
eBook EUR 21,99

New York Times Article

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