Das Innenleben eines Getriebenen

Der Mitvierziger Paul Böger, ein Hamburger Fotograf, schaut sich in der Toskana, mitten im unwegsamen Nirgendwo, ein Haus an. Es ist völlig heruntergekommen, eigentlich unbewohnbar, aber er will es unbedingt kaufen und bewohnen. Warum? Er ist auf der Flucht, auf der Flucht vor sich selbst, vor seiner kranken Leidenschaft, seinem schier unbezwingbaren Trieb. Er ist ein Mädchenmörder, ein Serientäter. Er hat schon drei kleine Mädchen umgebracht.

Allen ist er zufällig begegnet, deshalb bringt deren Tod keiner mit ihm in Verbindung. Nur er weiß, dass es immer so weiter gehen wird, wenn er den Kreis nicht durchbricht. Er muss in die absolute Einsamkeit, wo er keinen Versuchungen und Anreizen ausgesetzt ist. Das erhofft er sich von dem verwahrlosten Haus, das man kaum mit dem Auto erreichen kann.

Nachdem seine Mutter, die er um Unterstützung für den Kredit bitten wollte, praktischerweise bei einem Schlangenbiss vor Ort ums Leben gekommen ist, steht der Toskana fast nichts mehr im Weg. Er bricht seine Brücken ab, kündigt seinen Job, nimmt Abschied von Donnie, einem Travestiekünstler und seinem Freund, mit dem er in einem großen Loft in St. Pauli zusammen wohnt, und kommt in den toskanischen Bergen an. Hier hat er Zeit zum Nachdenken. Auch die Leser*innen sollen nachdenken. In Rückblenden wird Einblick in das Innere Paul Bögers gewährt, um zu verstehen, wie er zu dem geworden ist, was er jetzt ist. Seine lieblose Kindheit, nachdem seine Mutter seinen Vater verlassen hat. Der jahrelange fürchterliche Missbrauch durch seine Mutter. Die Begegnungen mit den kleinen Mädchen in Deutschland, und was er ihnen angetan hat. Ich war teilweise versucht, diese gequälte Seele zu bemitleiden. Aber alles soll ja am Rande des kleinen toskanischen Städtchens Ambra nun anders werden. Irgendwie integriert sich Paul Böger sogar ein klein wenig, aber dann wird die Leiche eines achtjährigen Mädchens aufgefunden. Der Carabiniere Donato Neri, der schon öfters in den Romanen Frau Thieslers vorkam, muss den Fall übernehmen. Da die Leser*innen durch die Rückblenden Paul Bögers Geschichte kennen, drängen sich natürlich gewisse Gedanken auf. Hat er mit dem Tod des Mädchens zu tun? Kommt er jemals wieder aus dieser Toskana-Sache raus?

Im Versteck ist definitiv nichts für schwache Nerven, und wer Probleme mit dem Thema Kindesmissbrauch hat, darf das Buch nicht lesen. Die Autorin schreibt teilweise sehr detailliert. Für alle anderen: absolute Leseempfehlung.

Sabine Thiesler studierte Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie arbeitete als Schauspielerin und schrieb Theaterstücke und Drehbücher für das Fernsehen (u.a. für Tatort und Polizeiruf 110), bevor sie sich dem Schreiben von Romanen widmete. Jeder ihrer Thriller stand bislang auf den Bestsellerlisten.

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Sabine Thiesler: Im Versteck
Heyne Verlag, Vö. 13. September 2021
590 Seiten
Gebundenes Buch 20,00 Euro, eBook 15,99 Euro

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