Ein gel(i)ebtes Leben

Das rote Adressbuch von Sofia LundbergAusgangspunkt für diesen Roman ist Schweden in den 1920er Jahren und ein 10-jähriges Mädchen, das zu ihrem Geburtstag von ihrem Vater ein rotes Adressbuch geschenkt bekommt. Doris Vater trägt sich als erstes ein, allerdings muss sie ihn auch als erstes wieder ausstreichen, denn er stirbt viel zu früh. Daraufhin zieht die Armut bei der Familie ein, und das Mädchen wird von ihrer Mutter in den Dienst bei einer hochherrschaftlichen Dame in Södermalm gegeben. Das Dienstmädchenleben ist hart, aber Doris lernt dabei Gösta Nilsson kennen, einen Künstler, der ihr sein ganzes Leben lang Freundlichkeit entgegenbringt. Die nächste Station ist Paris, ihre Arbeitgeberin nimmt sie dorthin mit. Einige Zeit später wird Doris von der Straße weg als Mannequin engagiert, alles verändert sich für sie. In der Stadt der Liebe lernt die 20-Jährige den Mann für’s L(i)eben kennen, allerdings verschwindet Allan eines Tages, bleibt aber unvergessen für Doris. Kurz vor dem Krieg wird ihr die Sorge für ihre 14-jährige Schwester Agnes übertragen, die nach dem Tod der Mutter nach Paris geschickt wird. Es ist eine Aufgabe, die sich bis zum Schluss positiv wie negativ auf Doris auswirken soll. Kurz vor Kriegsausbruch geht der Lebensweg weiter über Amerika nach England und zurück nach Stockholm. Diese Lebensreise ist ein Auf und Ab mit Freude, Leid, Überraschung, Enttäuschung, Fürsorglichkeit, einer tiefen Verbundenheit mit einer Großnichte und sehr viel Liebe.

Das erste „Oha!“-Erlebnis bei diesem Buch war das Video, das durch die Social Media des Verlags geteilt wurde. Die Autorin, Sofia Lundberg, geht dabei auf ihre Beweggründe ein, Das rote Adressbuch zu schreiben. Das war der Auslöser, mir dieses Buch auszusuchen, den ich bis heute nicht bereut habe. Lundbergs Debüt wird umhüllt vom zweiten “Oha!“: die Covergestaltung (ein sehr schöner Druck) und die beiliegende Postkarte zur eigenen Verwendung im gleichen Design wie der Umschlag. Aber das sind Kleinigkeiten im Vergleich zum herzberührenden Inhalt: Es werden mit so viel Empathie und Herzenswärme die Erlebnisse von Doris Alm erzählt, ihre harten Jahre bis zum Erwachsenwerden genauso wie das Entdecken der ersten Liebe und deren Verlust (mal ganz abgesehen vom Wiederauflodern an verschiedenen Stellen im Buch – vor allem bei dem letzten hatte ich einen sehr großen Kloß im Hals). Ich sitze neben der 96-jährigen pflegebedürftigen Doris, während sie ihre Memoiren für ihre Großnichte aufschreibt. Es sind viele Seiten voller interessanter, schöner als auch bedrückender Erlebnisse im Angesicht der Jugend, Armut, der Selbstständigkeit, der Liebe, des Krieges und des Nachhausekommens, die aber alle des Lesens wert sind. Alle Namen sind nach und nach aus dem Adressbuch gestrichen worden, deren Träger sind gestorben, genauso wie sich gegen Ende des Buches Doris auf ihre letzte Reise begibt. Es war schön, sie dabei begleiten zu dürfen.
Trotz der mitschwingenden Melancholie wollte und konnte ich dieses Buch nicht aus der Hand legen. Diese Zeitreise ist etwas Besonderes, deshalb kann ich hier nur meine volle Kaufempfehlung aussprechen.

:buch: :buch: :buch: :buch: :buch:

Sofia Lundberg: Das rote Adressbuch
Goldmann Verlag, Vö. 20.08.2018
Gebundenes Buch, 352 Seiten
20 €

(2551)