Von Holly Gibneys Solo und einem Moonwalk

Blutige Nachrichten, das ist schon von jeher so, verkaufen sich am besten. Katastrophenmeldungen, Entführungen, wild um sich schießende Menschen in Schulen. Ich denke aber nicht, dass Herr King mit dem Titel seines neuesten Buchs – kein Roman, sondern vier unabhängige Geschichten – damit auf sich aufmerksam machen wollte. Der wahre Fan wird das Buch ohnehin lesen.

In „Blutige Geschichten“ ist Holly Gibney die Hauptfigur. Der getreue Leser ist der jungen Frau schon öfter begegnet, zuletzt im 2018 erschienenen Der Outsider, zuerst im Roman Mr. Mercedes. Stephen King erklärt im Nachwort des neuen Buches, dass Holly eine Art Eigenleben bzw. Eigenständigkeit hat. Sie ist eigentlich nur als eine Art schrullige Nebenfigur angelegt gewesen, und nun taucht sie überall auf. Er ist selbst ganz überrascht darüber und hat sich fast ein wenig in die Dame verliebt. Die blutige Nachricht in der Titelgeschichte ist ein Paketbombenattentat auf eine Schule.
Es gibt viele Opfer, natürlich auch viele Kinder. Was ein gewisser Reporter hierzu berichtet, kommt Holly Gibney seltsam vor. Holly ist von Haus aus neugierig, aber sie ist jetzt Privatdetektivin, und so beginnt sie zu recherchieren, und deckt damit Ungeheuerlichkeiten auf.

„Mr. Harrigans Telefon“ ist eine typische StephenKing-Story, eine Coming-of-Age-Geschichte, wie Stand by me von früher, oder Das Institut, eins seiner aktuelleren Bücher. Die Geschichte baut sich ganz langsam auf. Der Ich-Erzähler Craig lernt Mr. Harrigan im Jungenalter im Ort kennen. Der schrullige, schroffe, alte Eigenbrötler und Millionär versteht sich recht gut mit ihm und gibt ihm einen Job. Craig darf ihm vorlesen. Allmählich lernt Craig ihn mögen, und er will ihm auch etwas Gutes tun. Er weist ihn in die Weiten des World Wide Web ein und schenkt ihm ein Handy, womit Mr. Harrigan ganz neue Welten kennenlernt. Als dieser stirbt, vererbt er Craig ein großes Vermögen, und Craig legt ihm irgendwie aus Melancholie und Verbundenheit das Mobiltelefon mit ins Grab. Irgendwie braucht er das, dass er dann und wann die Nummer anrufen kann. Seltsamerweise springt auch nach Jahren immer noch der Anrufbeantworter mit Mr. Harrigans Stimme an. Und als Craig ihm von einer großen Ungerechtigkeit erzählt, wird diese wie durch ein Wunder gesühnt.

„Chucks Leben“ ist zwar die kürzeste Geschichte im Buch, aber gleichzeitig die berührendste. Es wartet mit einer Endzeitstimmung auf, wie in einer hoffnungslosen Dystopie. Das Leben von Chuck Krantz wird in drei wichtigen Lebenssituationen rückwärts erzählt, beginnend mit dem Tod, endend als Jugendlicher. Charles „Chuck“ Krantz wächst bei seinen Großeltern auf. Durch seine Großmutter lernt er die Liebe zum Tanzen kennen. Sein Großvater hingegen macht ihn glauben, dass es auf dem Dachboden spukt. Tatsächlich sieht er am Ende des ersten Kapitels sich selbst auf dem Sterbebett in einem Krankenhaus liegen. Die Vision ist zwar schnell vorbei, dennoch nimmt sich Chuck vor, so gut und so viel zu leben, wie ihm zusteht. Er wird ein begnadeter Tänzer, spielt in einer Band, hat einen guten Job und eine liebevolle Familie. Leider wird seine Vision von damals Realität, mit 38 Jahren erkrankt er an einem Gehirntumor. Beeinflusst sein Tod die ganze Welt, womöglich das ganze Universum? Denn wieso gibt es seit ungefähr einem Jahr nur noch Katastrophen in der ganzen Welt? In San Francisco tun sich Krater auf, der Verkehr kommt zum Erliegen, das Internet und Fernsehen stellt sich ein, der Strom fällt komplett aus, aber in allen Fenstern leuchtet „Neununddreißig wunderbare Jahre. Danke, Chuck“ auf. Die Sterne erlöschen, und dann wird die komplette Milchstraße dunkel. Doch nicht wegen Chuck Krantz‘ Moonwalk?

Ist der Englischlehrer Drew Larson in „Ratte“, der sich zum Schreiben seiner Geschichten in eine einsame Hütte zurückzieht, sowas wie Jack Torrance in Shining? Ist er Kings Alter Ego? Jedenfalls will dieser nach langem erfolglosen Schreiben von Kurzgeschichten nun einen Roman verfassen. Er begegnet dabei einer Ratte, die übrigens fähig ist zu sprechen. Er geht einen Pakt mit ihr ein. Oder wird er verrückt?

Diese vier Geschichten sind wieder einmal typisch Stephen King. Lesen!

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Stephen King: Blutige Nachrichten
Heyne Verlag, Vö. 10. August 2020
560 Seiten
Gebundenes Buch: 24 Euro
Taschenbuch: 11,99 Euro
eBook 14,99 Euro

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