Die Rettung der Zukunft liegt in der Vergangenheit

Chu_WZeitkurier_181546500 Jahre in der Zukunft. Die Menschheit hat sich übers Sonnensystem ausgebreitet, riesige Konzerne halten den größten Teil der politischen Macht. Die Erde ist nach verheerenden Kriegen und einer mysteriösen Seuche, die Flora und Fauna verdirbt, kaum bewohnbar. Und auch für die Menschen, die die Erde nie gesehen haben, ist das Leben nicht leicht, denn Jahrhunderte schweren Raubbaus auf allen möglichen Planeten und Monden haben die Ressourcen des Sonnensystems weitestgehend aufgebraucht. Die letzte Rettung der Menschen sind Chronauten – hochausgebildete Zeitreisende, die in die Vergangenheit springen, um lebensnotwendige Treibstoffe und Ressourcen zu stehlen und in die Gegenwart zu holen. Natürlich sind Zeitreisen riskant, denn Risse im Zeitstrom können katastrophale Auswirkungen haben und die Vergangenheit darf nicht maßgeblich verändert werden. Die Regulierung und Überwachung wird von der Chroncom ausgeführt, einer unabhängigen Instanz, in deren Händen letztendlich das Schicksal der Menschheit liegt. James Griffin-Mars ist einer ihrer besten Chronauten, doch er kämpft mit den Geistern der Vergangenheit, die ihn nach jedem Auftrag plagen. Als er zu einem besonders riskanten Einsatz auf die Erde im 21. Jahrhundert zurückkehrt, wird der Druck zu viel: In einem Moment menschlicher Schwäche bricht er das erste und oberste Zeitgesetz: Bringe nie einen Menschen aus der Vergangenheit mit in die Zukunft. Plötzlich platzen James‘ Träume vom Ruhestand, und er und Elise, die Wissenschaftlerin aus dem 21. Jahrhundert, die die Erdseuche heilen wollte, werden zu gejagten Schwerverbrechern.


Mit Zeitkurier traut sich Wesley Chu mutig in eine sehr heikle Thematik, denn bei Zeitreisegeschichten kann man so vieles falsch machen. Oft zerstören massive Konsistenzfehler das gesamte Erlebnis, und ein Paradox jagt das nächste. Chu steuert anständig um die Untiefen der groben Logiklücken herum und hat mit Zeitkurier einen soliden Sci-Fi Roman abgeliefert.

Auch wenn man sich schwertut, sich wirklich mit James zu identifizieren, kann man doch mit ihm mitfühlen. Der harte Kerl, der im Leben nichts außer seinem Job und einen einzigen Freund hat und sich nur nach seinem wohlverdienten Ruhestand auf Europa sehnt, wird plötzlich von seiner eigenen Menschlichkeit eingeholt. Auch wenn seine Verbindung zu Elise, der toughen Wissenschaftlerin, zuweilen etwas schmalzig dargestellt wird, wünscht man doch keinem von beiden etwas Böses. Allerdings könnten beide Charaktere deutlich mehr Tiefe haben. Levin jedoch, der strenge und prinzipientreue Revisor, der James nach seinem Vergehen dicht auf den Fersen ist, ist mir aufgrund seiner charakterlichen Entwicklung sehr ans Herz gewachsen. Zunächst fest von den Absichten und der Integrität der Chroncom überzeugt, findet er im Lauf der Geschichte Dinge heraus, die seinen Glauben an diese Institution zutiefst erschüttern, und er weiß nicht mehr, was eigentlich das Richtige ist. So tritt er aus dem Schwarz-Weiß der anderen Charaktere heraus und gewinnt deutlich mehr Tiefe. Dadurch ist er der einzige Charakter, der mir wirklich sympathisch war – leider.

Zeitkurier steuert thematisch in eine etwas andere Richtung als ich erwartet hatte, und spätestens im letzten Drittel wird klar, dass ein zweiter Band folgen muss. Chu gönnt uns zwar eine anständige Auflösung der Geschichte, doch am Ende geht der Geschichte irgendwie die Luft aus. Nicht alle Handlungsfäden werden aufgelöst, und letztendlich kommen sogar noch ein paar neue dazu; auf den großen Showdown müssen wir wohl noch etwas warten.

Insgesamt ist Zeitkurier eine kurzweilige, spannende Lektüre und ohne grobe Logikfehler ausgeführt. Irgendwie hat es mich aber dennoch nicht übermäßig aus den Socken gehauen. Vielleicht hätte mehr Hintergrund eingebaut werden können, denn die Welt scheint so spannend und weitreichend zu sein, dass deutlich mehr Handlungsebenen existieren könnten. Es scheint, als kratze Chu nur etwas hurtig an der Oberfläche, denn Idee und Setting an sich hätten deutlich mehr Potential als das.

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Wesley Chu: Zeitkurier
Heyne Verlag, 14.8.2017
497 Seiten
Taschenbuch € 14,99
ePub € 11,99

 

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