Trve fuckin‘ Heavy Metal!

AirRaid-CoverWenn bei einer Band der Sänger ersetzt werden muss, der ja immer irgendwie ein besonderes Aushängeschild darstellt, bedeutet das oft das Ende Band. Die Göteborger Air Raid schreckt das jedoch nicht ab. Die 2009 von den beiden Gitarristen Andreas Johansson und Johan Karlsson gegründete Band veröffentlichte 2012 die EP Danger ahead und das Debütalbum Night of the axe mit Michalis Rinakakisals Sänger, bevor man sich wegen musikalischer Differenzen trennte. Auf dem zweiten Album Point of impact von 2014 ist daher Arthur W. Andersson zu hören, doch mit dem wachsenden Erfolg bekam dieser Bandaktivitäten und Familie zeitlich nicht mehr unter einen Hut. Somit zogen drei weitere Jahre ins Land, bevor das wichtige, dritte Album Across the line mit dem nun dritten Sänger Fredrik Werner erschien. Außer dem letzten verbliebenen Gründungsmitglied Andreas Johansson sind der zweite Gitarrist Magnus Mild, Robin Utbult am Bass und Drummer David Hermansson dabei.

Schon die ersten Takte, die „Hold the flame“ aus den Boxen feuert, versetzen mich direkt in die glorreiche Zeit der achtziger Jahre, als Metal noch trve und heavy war und die Musiker ausnahmslos nicht den kahlen Kopf sondern lange Haare schüttelten. Die Stimme von Fredrik fügt sich homogen in den Sound ein. Klar und prägnant geht sie auch mal die Tonleiter rauf, aber ohne den Falsett-Gesang eines King Diamond. Das Eröffnungsriff von „Line of danger“ lässt gleich weiter die Haare fliegen, auch wenn der Song insgesamt zugunsten der verspielten Leadgitarre etwas weniger temporeich ist. Trotzdem rockt das gewaltig. „Aiming for the sky“ kombiniert anschließend in bester Skull Fist Manier die Geschwindigkeit des ersten mit den tollen Gitarrenparts des zweiten Songs, und der Gesang setzt mit seinen wohlplatzierten Akzenten die i-Tüpfelchen. Bei „Cold as ice“ bekommt der Gesang eine düstere Note, wohl passend zum Text. Die Shouts vom Background-Chor verstärken diese Atmosphäre zusätzlich. Aber natürlich dürfen auch hier die Instrumentalparts nicht fehlen.
Zur Mitte des Albums hat der Gesang auf „Entering the zone zero“ eine Pause, und die Mitmusiker präsentieren schamlos ihre Fertigkeiten an den Instrumenten. Trotzdem wird nicht unüberlegt gejamt, hier sitzt wegen dem ausgefeilten Songwriting jede Note, sodass auch ohne Gesang keine Langeweile aufkommt. Wuchtige Riffgewitter dominieren „Hell and back“, die nun wieder vom Gesang durchdrungen werden, aber auch das Schlagzeug sorgt für Akzente. Im Refrain bekommt die Stimme eine etwas rotzige Note, was eine schöne Abwechslung zum sonst vorherrschenden Klargesang ist. Die im Waschzettel angegebenen schwedischen Folk-Einflüss von „Northern light“ kann ich ehrlich gesagt weniger heraushören, ich habe diesbezüglich aber auch keine weiteren Kenntnisse. Trotzdem ist dies ein toller Song mit einer eingängigen Hookline. Auf „Raid or die“ jault sich die Leadgitarre immer wieder die Tonleiter rauf und runter, dass es eine wahre Freude ist, während sie von der Rhythmusfraktion druckvoll angefeuert wird. Dem zugunsten nimmt sich der Gesang etwas zurück, Ausnahmen sind nur die höchsten Vocalspitzen auf dem gesamten Album. „Black dawn“ besticht durch den düsteren Hintergrundchor, der beim Refrain eine gewisse okkulte Stimmung erzeugt. Natürlich dürfen auch hier zum Abschluss die virtuosen Gitarrensolis nicht fehlen.

Fazit: Air Raid reihen sich problemlos in die Reihe mit Größen des NWOSHM wie Enforcer und Ambush oder die Kanadier Skull Fist ein. Sie versuchen gar nicht erst das Rad neu zu erfinden, sondern sind ausgezogen um klassischen Heavy Metal der 80er Jahre zu spielen, was sich schon am Logo und dem Plattencover abzeichnet. Dabei klingen sie aber weder verstaubt noch altbacken, denn hier wird nicht bloß kopiert, sondern viel Wert auf das Songwriting gelegt. Einzig ein echter Ohrwurm fehlt, aber das war auch schon auf dem vielfach gelobten Vorgängeralbum Point of impact so. Dafür gibt es wiederum keine Lückenfüller, und das musikalische Niveau bleibt durchgehend ebenso am Anschlag wie der Lautstärkenregler. Vor allem die Gitarrenarbeit ist auf Across the line noch eine Spur ausgefeilter. Das macht Air Raid unverzichtbar für junge Fans, aber auch äußerst empfehlenswert für Anhänger altgedienter Heavy Metal-Bands wie Judas Priest und Saxon.

Anspieltips: Hold the flame, Aiming for the sky, Northern light

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2: mit Tendenz zur 5

Air Raid: Across the line
High Roller Records, VÖ: 29.09.2017
CD 12,99€, LP 16,99€, erhältlich über High Roller Records
Homepage: facebook.com/AirRaidOfficial
hrrecords.de

Tracklist:
01 Hold the flame
02 Line of danger
03 Aiming for the sky
04 Cold as ice
05 Entering the zone zero
06 Hell and back
07 Northern light
08 Raid or die
09 Black dawn

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