Dancing in slow motion

Avatarium-cover-kleinerAvatarium – schon längst kein Geheimtipp mehr unter Liebhabern doomiger Sounds mit ordentlich Heavy-Rock-Einschlag und Siebzigervibes. Die Schweden um das Ehepaar Jennie-Ann Smith und Marcus Jidell veröffentlichen seit Jahren einen Hochkaräter nach dem anderen, und jedes ihrer Alben ist wie ein besonders edles Geschenk. Das man vor allem auch eine Weile auf sich wirken lassen muss, so vielschichtig sind Musik und Texte. So sollte man sich auch für Between you, God, the devil and the dead – ihr sechstes Album – einige Zeit für ein Zwiegespräch zwischen der Musik und einem selbst nehmen, so viel sei schon mal vorweggenommen.

Los geht’s mit dem doomigen Brecher „Long black waves“, dessen langgezogene Riffs einen genauso bedrohlich überrollen wie die besungenen schwarzen Wogen, die einen in die dunklen Tiefen hinabziehen wollen. „And the waves crave my soul, in dreams they swallow me whole“, singt Jennie-Ann, und man glaubt ihr die Seelenqualen, den Kampf gegen den Sog des Meeres sofort. Ich habe hier sofort ein Segelschiff vor Augen, das sturmgepeitscht und mit schwerer Schlagseite inmitten hoher Wellen darum kämpft, nicht unterzugehen. Ob es gelingt, bleibt offen. Die mächtigen schwarzen Wogen bestimmen, untermalt von einem hypnotischen Orgelteppich, den Song bis zum Ende. Licht und Dunkel spielen auch im Seventies-beeinflussten Uptempo-Rocker „I see you better in the dark“ eine große Rolle, auch hier muss sich das lyrische Ich gegen etwas zur Wehr setzen, einen alten Bekannten, den man im Dunkeln besser sieht. Eine psychische Erkrankung, persönliche Dämonen oder „it might be the evil gods“? Der Kampf wird hier mit mehr Kraft und Selbstbewusstsein geführt, was Jennie-Ann mit gleichzeitig starkem und einfühlsamem Gesang perfekt umsetzt. „My hair is on fire (but I’ll take your hand)“ ist gleichermaßen emotional. Weniger verzweifelt oder kämpferisch, mehr akzeptierend, liebevoll und entschlossen. „I could never save you, we knew that“, singt Jennie-Ann, aber auch „I will protect you, like no one else has before“. „A storm of pain“ hat das lyrische Ich durchleiden müssen, bis es an diesen Punkt gekommen ist, an dem nur noch „love remains“. Musikalisch ist diese emotionale Reise unfasslich gut umgesetzt, sanfte Klaviertöne, wilde Gitarreneruptionen, alles getragen von Jennie-Anns Stimme. Die, ich wiederhole mich in meinen Rezensionen von Avatarium gern und oft, nach wie vor eine der besten Sängerinnen ist, die ich kenne. Oft scheint ihr Blues-und-Soul-Hintergrund durch, wie auch beim nachfolgenden „Lovers give a kingdom to each other“, das neben Jennie-Anns Stimme durch leichte Americana-Anleihen und Marcus Jidells fantastisches Spiel an der Akustik- und E-Gitarre verzaubert. Wieder einmal werden hier tiefe, vielfältige Emotionen transportiert; „The heart wants what the heart wants“, beginnt der Song betörend, mit einem Zitat aus einem Brief von Emily Dickinson. Das Herz und seine Wünsche lassen sich nicht kontrollieren, trotz innerer Widerstände oder anderer Hindernisse. „Are you a man sent by god to open the gates of my solitude?“, singt Jennie-Ann, und dieser musikalische Sprung aus der Einsamkeit in das ureigene Königreich der Liebe zwischen zwei Menschen ist zum Weinen schön. Der nächste Song „Being with the dead“ zeigt wieder rauere Seiten, das Tempo ist schleppend, Gesang und Gitarren latent dissonant und schneidend, der Text ein Wehklagen des lyrischen Ichs, eine Botschaft an einen nicht mehr unter den Lebenden Weilenden, der aber trotzdem noch da ist. Die Trauer ist eine „radiant crown, a torch of love“, der verstorbene Mensch bis ins Innerste mit einem verwoben. Ein Song für die Lebenden und die Toten. Das nachfolgende „Until forever and again“ beginnt mit heavy Riffs, so schwer wie die Ewigkeit, und flirrender Orgel und taucht dann tief in seelische Abgründe ein. „Tell me are you really real or Nachträglichkeit?“, singt Jennie-Ann hier mit leicht verhallter Stimme, und der deutsche Ausdruck lässt aufhorchen. „Nachträglichkeit“ ist ein Begriff aus der Psychoanalyse, der auf Sigmund Freund zurückgeht und das beschreibt, wie wir im Nachgang mit etwas Erlebtem umgehen. Es etwa als „war doch gar nicht so schlimm“ umdeuten oder aber die wahre Schwere des Traumas erst im Nachhinein erfassen können. (Jennie-Ann ist niedergelassene Psychotherapeutin in Stockholm und arbeitet seit vielen Jahren mit Menschen in (emotionalen) Krisensituationen.)

Wie auch schon auf dem Vorgängeralbum Death, where is your sting (Rezension hier) findet sich auch hier wieder ein Instrumental. „Notes from the underground“ verströmt viel Seventies-Flair, die Trommeln bringen einen Hauch Orient mit hinein, und die Musiker, allen voran Marcus Jidell, zeigen ihr Können. Ein schönes Stück Musik mit ordentlich Heavyness, bevor es mit dem Abschlusssong „Between you, God, the devil and the dead“ wieder sehr getragen und gefühlvoll wird. Pathos können – und dürfen! – Avatarium ja richtig gut, und dieses kleine Kammerspiel mit zurückgenommener Instrumentierung und behutsamem Gesang ist ein gutes Beispiel dafür. Auch hier werden seelische Abgründe besungen, Erinnerungen, innere Qualen, Geheimnisse, die außer einem selbst nur Gott, der Teufel und die Toten kennen.

Was diesem Album vielleicht an musikalischer Schwere und eindeutiger Doomigkeit fehlt, machen die existenziellen Emotionen, die in den Songs behandelt werden, mehr als wieder wett. Between you, God, the devil and the dead ist ein tonnenschweres Album geworden voller Textzeilen und Melodiefetzen, die sich ins Gehirn fräsen und einen nicht mehr loslassen. Kein klassisches Doom-, aber auch kein klassisches Heavy-Rock-Album, irgendwo an der Schnittstelle zwischen beiden und wieder mit mehr tiefergelegten Riffs als auf Death, where is your sting. Auch wirkt das Album wieder mehr wie aus einem Guss, sodass zwar keine einzelnen Songs alles überstrahlen, aber dafür alle hervorragend ineinandergreifen. Die Produktion ist warm und auf den Punkt gebracht, das Songschreiberduo Jennie-Ann und Marcus hat außerdem ganze Arbeit geleistet. Der Geist von Bandgründer Leif Edling, der sich mittlerweile wieder hauptsächlich Candlemass widmet, weht noch etwas durch die Songs, doch Avatarium haben definitiv zu ihrem ganz eigenen eleganten Sound gefunden und mit Between you, God, the devil and the dead wieder einmal einen Volltreffer gelandet. Für den man sich, wie eingangs bereits betont, Zeit nehmen muss.

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Avatarium: Between you, God, the devil and the dead
AFM Records (Soulfood), Vö. 24.01.2025
Länge: 43 Minuten
Kaufen: z. B. € 17,99 (CD) bei JPC. Außerdem als Vinyl und limitertes CD-Earbook erhältlich.

1. Long black waves
2. I see you better in the dark
3. My hair is on fire (But I’ll take your hand)
4. Lovers give a kingdom to each other
5. Being with the dead
6. Until forever and again
7. Notes from underground
8. Between you, God, the devil and the dead

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