Melancholie deluxe

cover-AVATARIUM-Death-Where-Is-Your-StingSchon ein paar Monate hat Death, where is your sting – ein Zitat aus dem ersten Korintherbrief der Bibel – auf dem Buckel, das aktuelle Album unserer Lieblings-Doom-Rock-Band aus Schweden. Im Oktober 2022 ist der fünfte Langspieler der Truppe um Jennie-Ann Smith und Marcus Jidell erschienen, drei Jahre nach The fire I long for und zwei Jahre nach dem Live-Album An evening with Avatarium. Entstanden ist es während der Corona-Jahre mit all ihren Herausforderungen und oft lebensverändernden Ereignissen, erstmals ist Jennie-Ann für alle Texte verantwortlich, Bandgründer Leif Edling hat sich endgültig aus dem Schaffensprozess zurückgezogen. Nachdem sich Avatarium auf den letzten Alben stetig weiterentwickelt und ihre ganz eigene Mischung aus Psychedelic, Heavy Rock, Doom und Americana perfektioniert haben, sind wir gespannt, wohin die musikalische Reise mit diesem Album führt.

„A love like ours“ beginnt überraschend ruhig und eindringlich, Cello und Klavier verleihen dem Song zusammen mit der dramatischen Steigerung ein leichtes Filmmusikflair, das von einem kleinen Americana-Schlenker abgelöst wird, bevor die Gitarren einsetzen – schön! Kein klassischer Strophe-Refrain-Strophe-Song, der einen aber trotzdem durch die immer dichtere Atmosphäre mitreißt und irgendwann nicht mehr aus dem Ohr geht. Augen schließen, dem – traurig-schönen – Text lauschen und sich darauf einlassen. Deutlich doomiger beginnt „Stockholm“, harte Riffs leiten dieses musikalische Wechselbad der Gefühle ein. Jennie-Anns Stimme dominiert über akustischer Gitarre, bis im Mittelteil (und am Ende) Gitarre und Streicher einen melancholischen Klangteppich zaubern, bei dem einem vor Schönheit ein wenig das Herz bricht. (Auch, wenn man gleichzeitig das wunderschöne Stockholm vor dem inneren Auge hat.) „Death, where is your sting“ wird ebenfalls von Jennie-Anns Stimme dominiert, ist mit dem rockigen Grundgerüst aber weniger melancholisch. Härtere und akustische Passagen wechseln sich ab, während Jennie-Ann ein Zwiegespräch mit dem Tod führt, der sich für dieses Mal zurückgezogen hat („After all, it seems I’m still alive“), aber jederzeit wieder vorbeikommen kann.
Das nachfolgende „Psalm for the living“ könnte man sich tatsächlich in einer Kirche oder einem anderen spirituellen Umfeld vorstellen. Nach der ganzen Düsternis singt Jennie-Ann hier betörend über sparsamster Instrumentierung „One beautiful day I’ll be full of flowers instead“ – ein kleiner Hoffnungsschimmer? Vor allem aber ein ungewöhnlicher Song für ein Metal-Album, der sich aber trotzdem gut einfügt. „God is silent“ ist dafür ein amtlicher Doom-Brecher, bei dem Marcus Jidell mit Gitarrensoli und Jennie-Ann (mal wieder) mit ihrer Stimme brillieren können – der Refrain ist pure Gänsehaut!
„Mother can you hear me now“ ist eine klagende Anrufung voller Sehnsucht und Trauer. „I still want you to listen – mother can you hear me now? I just wanted you to hold me. I just wanted you to know me“ – eindringliche Zeilen, deren innewohnende Emotionen Marcus Jidell in einem fantastischen Gitarrensolo umsetzt. Mit „Nocturne“ folgt der einzige richtige Rocker des Albums, der mit dem gefühlvoll-eingängigen Refrain ein wenig Leichtigkeit in das Ganze bringt. In meinen Augen nicht der stärkste Song des Albums, aber eine sehr gute Ergänzung, bevor es mit dem abschließenden „Transcendent“ noch mal experimentell wird. Nach einem sehr ruhigen akustischen Anfang setzt nach zwei Minuten die Gitarre ein, emotionale Doom-Riffs und klagende Streicher vertonen Melancholie, wütenden Schmerz und jede Menge Düsternis, bevor der Instrumentaltrack wieder akustisch zu Ende geht. Nach dem starken Fokus auf Jennie-Anns Stimme ist „Transcendent“ ein überraschender, aber höchst gelungener Albumausklang.

Death, where is your sting ist kein einfaches Album geworden, aber ein großartiges. Ja, man merkt den langen Entstehungsprozess während der anstrengenden Corona-Jahre, man merkt auch, dass es weniger aus einem Guss ist wie die Alben davor. Schwere Themen und Emotionen dominieren, über die normale Doom-Melancholie hinaus, und vor allem Jennie-Anns Texte sind ein Extraauge wert. Man muss sich das Album Song für Song erarbeiten und sich auf die jeweilige Atmosphäre einlassen können. Dann wächst es mit jedem Durchlauf. Die psychedelisch-rockige Seite von Avatarium wird auf Death, where is your sting ein wenig vernachlässigt, das könnte man kritisieren, auch der Doom-Anteil ist dieses Mal weniger, doch die Songs sind immer noch hundert Prozent Avatarium. Nur eben ein wenig anders, aber die letzten Jahre waren auch sehr anders. Da ist es vielleicht nur natürlich, dass sich das auch auf die Musik auswirkt. Vielleicht kein Album mit herausstechenden Knallern, aber mit unglaublich starken Emotionen und viel dunkler Schönheit. Und natürlich dieser ganz besonderen Stimme.

Am 30. April sind Avatarium übrigens zusammen mit Swallow the Sun im Münchener Backstage!

Anspieltipps: Stockholm, Death, where is your sting, Mother can you hear me now

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Avatarium: Death, where is your sting
AFM Records, 21. Oktober 2022
Länge: 45 Minuten
Kaufen: € 13,99 im AFM-Records-Shop

Tracks:
1. A love like ours
2. Stockholm
3. Death, where is your sting
4. Psalm for the living
5. God is silent
6. Mother can you hear me now
7. Nocturne
8. Transcendent

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