Die schwedischen Soundtüftler sind zurück

mind215-24erBooklet.inddLange mussten wir auf ein musikalisches Lebenszeichen warten, viel hat sich in der Zwischenzeit im Lager von Covenant getan. Joakim Montelius hat sich ganz von der Bühne verabschiedet, ist aber ein festes Mitglied der Band im Studio geblieben. Daniel Myer widmet sich mittlerweile wieder ganz seinen eigenen Projekten, hat zu dieser CD aber noch einiges beigetragen. Daniel Jonasson ist vom festen Live-Knöpfchendreher zum festen Bandmitglied geworden, und ganz neu dabei ist der Komponist und Soundwizard Andreas Catjar, ein langjähriger Freund der Band. Covenant sind nun also zu viert und wieder vollkommen schwedisch – und vielleicht kommt es nur mir so vor, aber schon klingt alles wieder organischer und kompakter. Nicht dass das Vorgängeralbum Modern Ruin schlecht gewesen wäre, beileibe nicht, doch die ganz großartigen Covenant-Momente fehlten darauf meiner Meinung nach.

Doch alles wurde schon im Juni dieses Jahres besser, als Covenant die Vorab-EP Last Dance veröffentlichten, auf der sich die höchst vielversprechende Single-Auskopplung „Last Dance“ befand, sowie je ein Lied von je einem Bandmitglied und einige Remixe. „Last Dance“ hatte auf einmal wieder alles, was Covenant ausmacht – harsche Sounds, aber ungeheuer lieblich verpackt, ein Killerrefrain und Melodien, die sofort in die Beine gehen. Das Warten auf die Veröffentlichung des Albums am 6.9.13 wurde lang und immer länger. Endlich schien sie wieder da zu sein, diese Covenant-Magie, dieses Mitreißend-Melancholische, aber höchst Tanzbare, das dem geneigten Fan schon nach den ersten Tönen höchste Glücksgefühle zu bereiten vermag.

Am 7.9.13 ist es dann endlich soweit, Leaving Babylon liegt als Digipack mit Bonus-CD in meinem Postkasten, und schon diverse Jahre habe ich mich nicht mehr so auf eine Neuveröffentlichung gefreut wie auf diese. Nach einigen Hördurchgängen hat sich mein erster Eindruck auch bestätigt: Covenant haben ein verdammt gutes Album abgeliefert.
Der erste Track „Leaving Babylon“ schickt uns auf die Reise aus Babylon heraus, Fetzen verschiedener Sprachen im Hintergrund untermalen die dynamische Aufbruchsstimmung, die programmatisch für das ganze Album ist. An diesem Stück hat Daniel Myer noch maßgeblich mitgewirkt, was nicht nur an den prominenten Drums zu erkennen ist. Experimentell, schräg, elektronisch – ein guter Anfang!

„Prime Movers“ schließt sich weniger experimentell, dennoch aber perfekt daran an. Ein echter Tanzflächenfüller mit Killerbeats und eingängiger Melodie, hinter der jedoch wie immer bei Covenant so viele Soundfrickeleien liegen, dass der Song ganz und gar nicht so einfach ist, wie er auf den ersten Blick erscheint. „Prime Movers“ steht ganz in der Tradition von „The Men“ oder „20hz“, hat aber die eine oder andere Kante mehr. Neben „Last Dance“ wurde dieser Song auch schon live vorgestellt, was ganz hervorragend funktioniert hat.

„For our Time“ nimmt das Tempo wieder etwas raus, erscheint auf den ersten Blick arg poppig, doch nach spätestens zwei Durchgängen hat sich die Melodie ins Ohr gefressen. Und ein wenig Schmalz ist auf jeder Covenant-Scheibe, das gehört dazu, das verzeiht man. Außerdem verbirgt sich hinter der zuckersüßen Melodie wie so oft bei dieser Band ein bemerkenswerter Text, der das Ganze schon wieder etwas tiefgründiger aussehen lässt. „I’ve been searching, I’ve been living for tomorrows all my life. I’ve been watching, I’ve been waiting in the shadows for my time.“ Doch irgendwann muss das Warten auch vorbei sein, der Aufbruch muss kommen, das alte Leben will zurückgelassen werden.

„Thy Kingdom come“ beginnt mit Cembalo-artigen Klängen und hat mich damit sofort gepackt. Dieses Lied habe ich bisher bestimmt schon zwanzigmal gehört und kann immer noch nicht genug davon bekommen. Es ist berührend, es ist leidenschaftlich, es ist traurig, es ist tanzbar, es lässt einen mit diesem Sehnen im Herzen zurück, dieser ganz bestimmten Melancholie, die jedoch sehr glücklich macht. Ein treibender Rhythmus, von elektronischem „Cembalo“ untermalt, man wird fortgerissen von Eskils Stimme (das ja sowieso immer, aber hier besonders), und irgendwann taucht man aus diesem Lied wieder auf, überrascht, zurück in die Realität zu müssen.

„I walk slow“ ist die große Überraschung des Albums – hier wird es gitarrenlastig. Nein, keine Angst, keine Rockgitarre, sondern leises Akustikgeklampfe. Ganz eindeutig Andreas Catjars Einfluss (von dem dieses Lied auch weitestgehend stammt), der auf der Bühne schon die unglaublichsten Geräusche aus einer E-Gitarre hervorzauberte. Dass man von diesem Instrument bei Covenant dann wohl zukünftig mehr hören würde, war da schon klar. Noise-Strukturen unterbrechen gekonnt den Sprechgesang Eskils und tragen zu der verstörenden Atmosphäre dieses beklemmend ruhigen Tracks bei. Anders, aber verdammt gut!

„Ignorance & Bliss“ ist dagegen wieder eine ganz große Covenant-Hymne, mir noch etwas zu cheesy, ein bisschen zu sehr „Eurovisions-Beitrag“, aber mit herausstechenden Bestandteilen und insgesamt immer noch ein sehr, sehr guter Synth-Song, der auf der Tanzfläche ganz hervorragend funktionieren wird.

„Last Dance“ läuft in den Clubs seit dem Sommer schon rauf und runter, und das absolut zu recht. Kritiker könnten behaupten, dass in diesem Track etwas zu viele Ansätze verbraten werden, harschere Elektrofrickeleien, Eskils dynamischer Sprechgesang, ein vollkommen aus der Rolle fallender Refrain – im Rahmen der ganzen Songstruktur, sonst ist er natürlich großartig –, die mit sechs Minuten doch recht üppige Länge, höchst eingängige Melodien zwischendrin … aber es funktioniert. Es funktioniert sogar ausgezeichnet. Eine wahre Soundreise innerhalb eines Liedes.

„Auto (Circulation)“ setzt die begonnene Soundreise fort, wieder über sechs mitreißende Minuten lang, eines dieser „Lieder in der zweiten Reihe“, die es auf jedem Covenant-Album gibt und die ich so gern mag. Hier wird nicht auf die Tanzfläche gesetzt, nicht auf prominente Refrains, hier zählt der Sound, hier zählt der Trance-Effekt, hier schlägt das Herz der Elektroniktüftler in der Band. Wie schon „Dynamo Clock“ auf Modern Ruin wird das hier der Song für nächtliche Autofahrten, für den Kopfhörer, für den Elektrofreak. Muss man öfter hören, aber dann schlägt es gnadenlos ein.

„Not to be here“ zeigt die extrem ruhige Seite der Band, eines dieser Lieder gibt es ja auf jedem Album. Für mich dennoch eine weitere Überraschung auf Leaving Babylon, zarte Klaviertöne leiten den Song ein, der wahnsinnig sanft und leise beginnt und dann ganz heimlich und fast unbemerkt sehr viel intensiver wird, als man am Anfang vermutet hat. Ein würdiger und passender Abschluss.

Doch halt, was kommt da? Ein unbenannter zehnter Hidden Track entlässt einen mit ruhigen Soundtüfteleien endgültig in die Realität zurück, die musikalische Reise ist zu ihrem Ende gekommen und hat den Hörer ein gutes Stück weitergebracht.

Covenant haben es mit Leaving Babylon wirklich geschafft, sich zum Teil neu zu erfinden, zum Teil zu alten Stärken aus der Zeit von Northern Light zurückzukehren. Die personelle Umbesetzung hat dem kreativen Prozess gut getan, es scheint endlich wieder Ruhe innerhalb der Band eingekehrt zu sein, und in der Ruhe liegt ja bekanntlich die Kraft.
Für mich ein ganz großartiges, überraschend und zugleich vertraut klingendes Album geworden, das ich jedem Covenant– und Elektro-Fan nur wärmstens ans Herz legen kann.

Auf der Deluxe-Edition befindet sich noch eine Bonus-CD, die allerdings wahrlich experimentell ausgefallen ist und daher nicht in die Wertung einfließt. Es handelt sich um die Vertonung des Textes „Jag är fullständigt tung“ von Helena Österlund, der von der Verfasserin auf Schwedisch eingesprochen und von Eskil Simonsson musikalisch untermalt wurde. Das ist nicht für jedermann geeignet, dauert auch über eine Stunde und ist definitiv keine leichte Kost. Für Sammler sicher ein Punkt, die Deluxe-Edition zu kaufen, ansonsten reicht auch die normale CD-Ausgabe (oder die streng limitierte Vinyl-Ausgabe mit mp3-Download-Code!).

Anspieltipp generell: Last Dance
Anspieltipp persönlich: Thy Kingdom come

 

Tracklist:
Leaving Babylon
Prime Movers
For our Time
Thy Kingdom come
I walk slow
Ignorance & Bliss
Last Dance
Auto (Circulation)
Not to be here

 

Am 18.9. sind Covenant übrigens in München und bringen zusammen mit Aesthetic Perfection das Backstage Werk zum Kochen. Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen!

 

Covenant – Leaving Babylon
Dependent, 2013
Gesamtspielzeit: 54 Minuten (zuzüglich 1h 16min Bonus-CD)

Preis: variiert je nach Anbieter, etwa 16,99 € für die Deluxe-Version, etwa 13,99 € für die einfache.
Dependent
Poponaut

Emmo.biz

amazon

(4804)