Love them, love them to the end!

Über 30 Jahre gibt es Deine Lakaien, bestehend aus dem klassisch ausgebildeten Instrumentalisten und Komponisten Ernst Horn und dem ausdrucksstarken Sänger Alexander Veljanov. Sie sind aus der internationalen Electronic-Avantgarde- und Dark-Wave-Szene nicht mehr wegzudenken. Jeder hat für sich noch eigene Projekte, aber immer wieder finden sie die Zeit für ihre Hauptaufgabe, und diese ist uns mit ihrer gemeinsamen Musik zu erfreuen. Sechs Jahre nach ihrem letzten Studioalbum und zwei Jahre nach umfangreichen Werkschauen zum 30. Bandjubiläum wagen sie etwas ganz Neues. 

Sie haben ein Album aufgenommen, bestehend aus Coverversionen absolut bekannter Songs und Künstler, und jedem Song wurde eine Eigenkomposition gegenüber gestellt, die über einen direkten thematischen Bezug zur jeweiligen Cover-Version verfügt. So gibt es zu „Because the night“ von Bruce Springsteen und Patti Smith ein eigenes „Because of because“. Wie kam dieses Konzept zustande? Die beiden haben schon öfters Coverversionen eingespielt, doch Coversongs alleine sind zu langweilig, das ist nicht das ihre. Also haben sie sich von Songs inspirieren lassen, von Lieblingsliedern, von Stücken, die sie lange begleitet haben oder einfach Spaß machen, und dazu ein Gegenstück entwickelt. So gab es eine riesige Bandbreite, und es kam ein kunterbunter Strauß an Musik verschiedenster Epochen auf das Doppelalbum: The Cure ebenso wie Jaques Brel, Kansas, Cat Stevens, Linkin Park oder gar ein Stück Operngeschichte. 

Das Album heißt sinnigerweise Dual. Das wunderschöne Artwork, in schwarz-weiß gehalten, stellt hier in Buchform auch Ernst Horn Alexander Veljanov gegenüber, auf dem Cover gezeichnet, innen drin in Foto-Form. Stimmig dazu eine CD in schwarz, die andere in weiß. Weiße Buchstaben auf schwarzem Papier, schwarze Kleckse auf Weiß, teilweise wie Rorschachzeichnungen – all das ist grafisch top aufbereitet und macht schon beim Ansehen Lust auf die Musik! Und wie ist diese so?

Schon der erste Ton ist typisch Deine Lakaien. Auf der ersten CD sind die neuen Songs, aber es kommt einem vor, als hätte man sie schon mannigfaltig gehört. Es herrscht einfach eine Deine Lakaien Stimmung. „Because of because“ meine ich irgendwo auf einer Tanzveranstaltung schon einmal gehört zu haben. „Sick Cinema“ besticht durch eine Mischung aus Opernstimmung, altertümlich anmutenden Instrumenten, einer Orgel und Post-Punk-Bass. Typisch Deine Lakaien. „In your eyes“ ist dramatisch. Bei „Snow“ muss ich an Kate Bush denken mit ihrem Album 50 words for snow. Es mutet fast märchenhaft an, und es handelt auch vom Prince of snow. Gänsehaut erzeugend. Bei „Happy man“ sehe ich die Tanzfläche voll werden, und bei „Run“ kann man mit etwas Konzentration erkennen, wovon es im Original das Pendant ist: Hier heißt es „Run“, dort heißt es „The walk“. „Les oiseaux“ ist im Original ein Chanson von Jaques Brel. Hier singt Veljanov auf Französisch, wiederholt immer wieder den Titel des Songs: Les oiseaux – die Vögel. Ich höre tatsächlich so etwas wie das Kreischen von Vögeln im Hintergrund. „Qubit man“ hingegen ist aufgeregt, mit wilden Streichern, ungehalten und verunsichernd. „Someone to come home to“ ist ruhiger, samtig, weich, atmosphärisch, mit klassischen Instrumenten aber auch digitalen und synthetischen Tönen, und dazu diese Stimme von Veljanov! Damit endet der erste Teil des Doppelalbums. Ich komme mir fast so vor wie in den Siebzigern, wo man aufgestanden ist, die Langspielplatte vom Plattenteller genommen hat, sie in die Hülle versenkt und die zweite LP aus der knisternden Hülle genommen hat. Rauf damit auf den Plattenteller, den Tonarm nach unten, es knistert ganz leicht, und es kann weitergehen mit den Coversongs.

„Because the night“. Wer kennt nicht diese paar einfachen einprägsamen Klaviertöne gleich am Anfang? Die würde man ja in jeder Art von Coversong rauskennen. Aber hier folgt die glasklare, tragende Stimme von Veljanov, nicht Bruce Springsteen oder Patti Smith. Beim Refrain gibt es einen angedeuteten fast schon himmlischen Chor, der macht das Lied zu einer ganz anderen Version, eben zu Deine Lakaien, eine Hymne ist es aber dennoch. „Spoon“ ist ein ideenreiches, durchgeknalltes, kleines psychedelisches Liedchen der deutschen Band Can von 1971, es hört sich witzig an, und schön ist auch das Verspielte in Veljanovs Stimme. Danach folgt „The walk“, im Original von The Cure, und tatsächlich, es könnte wirklich ein New Wave/Post Punk Song aus den frühen 80ern sein. Einzig der Gesang irritiert ein ganz klein wenig, nicht, weil er so anders klingt, sondern einfach, weil anders intoniert und interpretiert ist, als man es gewohnt ist. Sehr spannend! Wer hätte gedacht, dass ich nach all diesen tausenden von Malen, die ich „Dust in the wind“ in meinem Leben schon hören musste, noch einmal Gefallen daran finden könnte? Und darauf folgt „Suspended in gaffa“. Echt jetzt? Deine Lakaien sind Kate Bush Fans? Sie haben Recht! Diese Lieder waren damals außergewöhnlich, witzig und innovativ, meist auch noch von Kate Bush tänzerisch interpretiert. Und so ist in dieser Version mit dieser eigentlich ganz anderen Instrumentierung und erst recht Stimme als erstes fast dieser walzertypische Dreivierteltakt zu erkennen, dazu ein paar eingestreute Verrücktheiten wie reingesungene und -gesprochene Satzfetzen, genauso wie es damals Kate Bush schon gewagt hat. Hier ist es, das Cover des französischen Originals „La chanson des vieux amants“, auf der ersten CD „Les oiseaux“ genannt. Veljanov trifft hier den Stil der französischen Chansons. Ich mache die Augen zu und sehe mich in einer kleinen Gasse in Paris, einen Kaffee und ein Croissant vor mir auf dem Bistrotisch, oder vielleicht auch schon ein Glas Crémant – und alles in Schwarzweiß. Soundgardens „Black hole sun“ mit seinen schlagenden Drums und finsteren Synths – sofort zu erkennen. „Lady d’Arbanville“ von Cat Stevens ist eigentlich ein sehr trauriges kleines Lied, handelt es sich doch um den Verlust einer großen Liebe. Hier klingt es irgendwie nach Dreampop, das gibt dem Ganzen etwas mehr Dynamik. Ha! Und nun kommt ein großer Geniestreich! Der „Song of the flea“ (das Flohlied) ist ein russisches Stück von Modest Mussorgsky, im Original aus dem Jahr 1879. Es ist Teil der Oper Boris Godunov. Hier konnten sich Horn und Veljanov austoben! Der Soundbastler Horn und der Stimmenspieler Veljanov scheinen hier richtig Gefallen gefunden zu haben, das Flohlied neu zu interpretieren. Veljanov schlüpft hier in die Rolle des Mephisto, rezitiert auf Russisch und lacht so abgrundtief böse: Das würde ich gerne auf der großen Bühne sehen! Der Linkin Park Song „My December“ ist ein würdiger Schluss. Es knistert noch einmal, und der Tonarm geht nach oben und zurück.

Mit Dual schaffen Deine Lakaien ein ganz wundervolles Doppelalbum. Sie haben mit ihren eigenen Stücken auf CD1 Klassiker mit typischem Deine-Lakaien-Charme geschrieben, und den Coversongs auf CD2 verschafften sie einen frischen Anstrich und hauchten ihnen dadurch eine ganz besondere Magie ein. Ganz großes Kino!

Deine Lakaien: Dual
Chrom Records/Prophecy Productions, VÖ: 16.04.2021
2 CDs, Mediabook
CD 17,99 Euro, MP3 14,77 Euro, Vinyl 21,99 Euro
z.B. bei PoPONaut

Tracklist:
CD1
01. Because of because
02. Sick cinema
03. In your eyes
04. Snow
05. Happy man
06. Run
07. Les oiseaux
08. Unknown friend
09. Qubit man
10. Someone to come home to

CD2
11. Because the night
12. Spoon
13. The walk
14. Dust in the wind
15. Suspended in Gaffa
16. La Chanson des Vieux Amants
17. Black hole sun
18. Lady d’Arbanville
19. Song of the flea
20. My December

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