Kalte isländische Landschaften
Die isländische Band Dynfari wurde 2010 noch als Duo gegründet. Die Band hat in den letzten zehn Jahren nicht nur bereits vier Alben eingespielt, sie ist auch zum Quartett herangewachsen. Das Line-Up besteht heute aus den beiden Gitarristen Martin Tsenov und Bragi Knutsson, dem Sänger und Multiinstrumentalisten Jóhann Örn, der die Synthies, Akkordeon, Bass und Gitarre spielt, und Jón Emil, der die Percussion und wiederum die Gitarre übernimmt. Dynfari haben also gleich vier Gitarristen, und das wird sich deutlich von der Atmosphäre her im Sound niederschlagen. Sie verleugnen ihre Wurzeln im Black Metal nicht, gehen damit aber einen eigenen Weg, von dem nicht zuletzt das jüngst veröffentlichte Album Myrkurs er þörf zeugt.
Der Opener „Dauðans dimmu dagar“ kommt rein instrumental daher und fungiert als Intro und ist doch viel mehr. Ganz langsam baut sich die Stimmung auf und bereitet den Hörer auf das Album vor. Mit einem langgezogenen Stöhnen erfolgt bei „Langar nætur (í botnlausum spíralstiga)“ der erste Stimmeinsatz, und schließlich agiert Sänger Jóhann mit einer prägnanten rauen Stimme, die ebenso weit weg vom Cleangesang ist wie vom typischen Black-Metal-Grunzen. Doch zwischendrin gibt es auch eine Passage mit klarem Gesang, die sich natürlich einfügt. Im Bereich Post Metal, der auch in Richtung Doom schielt mit schweren, langgezogenen Klängen bewegt sich auch „Myrkurs er þörf“. Der Gesang klingt dabei wie ein einziges Wehklagen. Die Düsternis und Verzweiflung, die ich im aktuellen Gothic-Bereich vermisse, hier kommt sie voll zum Tragen. „Ég fálma gegnum tómið“ beginnt zunächst verhalten, steigert sich aber im Verlauf und gewinnt immer mehr an Intensität. Man könnte meinen, man wäre Zeuge eines heidnischen Rituals.
Im Anschluss setzt „Svefnlag“ zunächst erst einmal einen meditativen Ruhepol, bevor mit „Ég tortímdi sjálfum mér“ die Reise wieder an Fahrt gewinnt. Die Lyrics werden aggressiv vorgetragen, hier ist Jóhann stimmlich vielleicht am ehesten am Black Metal dran. Der Sound bleibt jedoch episch erhaben, was „Peripheral dreams“ im Anschluss auf über zehn Minuten Doom-mäßig auf die Spitze treibt, ohne eine Sekunde langweilig zu sein. Die Atmosphäre erinnert an bombastische Orgelmusik, stellenweise sanft hinterlegt mit Double-Bass-Drums. Das mag widersinnig klingen, ist aber tatsächlich eine tolle Kombination. Zum Abschluss überrascht „Of suicide and redemption“ zunächst mit einem fast schon fröhlichen und leichtfüssigen Bassspiel, um so wuchtiger fällt das Einsetzen der weiteren Instrumente aus. Auch die Double-Bass-Drums werden noch einmal eingesetzt, allerdings zugunsten der Gesamtstimmung abermals mehr in den Hintergrund gemischt. Der Wechsel in den Klargesang in der ruhigen Zwischenpassage kommt unerwartet und sorgt damit für eine besondere Eindringlichkeit und Dramatik.
Fazit: Dynfari präsentieren mit Myrkurs er þörf ein atmosphärisch dichtes Album, bei dem es mir schwer fällt, irgendwelche Highlights herauszupicken. Es ist vielmehr eine musikalische Reise im Post Black Metal, die nicht unterbrochen werden sollte. Die Songs und die Stimmungen sind feinfühlig aufeinander abgestimmt, Lärmausbrüche und Ruhephasen wechseln sich wohldosiert ab. Es passt, dass diese Band aus Island stammt, denn es sind kalte isländische Landschaften, die beim Hören von Myrkurs er þörf an meinem inneren Auge vorüberziehen. Nicht nur Fans von Solstafir sollten Dynfari unbedingt austesten, auch Gothic-Anhänger sollten hier dringend ein Ohr riskieren.
Anspieltipp: Myrkurs er þörf
Dynfari: Myrkurs er þörf
code666, Vö. 18.09.2020
MP3 7,00 €, CD 12,00 €, LP ab 18,00 €, erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://www.facebook.com/Dynfari
https://dynfari.bandcamp.com/album/myrkurs-er-rf
http://www.code666.net
Tracklist:
01 Dauðans dimmu dagar
02 Langar nætur (í botnlausum spíralstiga)
03 Myrkurs er þörf
04 Ég fálma gegnum tómið
05 Svefnlag
06 Ég tortímdi sjálfum mér
07 Peripheral dreams
08 Of suicide and redemption
(1748)