Suizidalmusik
Coughin Wraught hat das Projekt Eclipsus 2018 gegründet und ist sonst im Raw Black Metal aktiv. Hier ist er jedoch solo unterwegs, um seine persönlichen Visionen und Emotionen uneingeschränkt auszuleben, und er spielt daher alle Instrumente selbst ein. Depression und Selbstmord sind ihm ein zentrales Thema, und diesem dunkelsten menschlichen Abgrund ist das Album Yūrei gewidmet, denn es folgt konzeptuell den einzelnen Schritten eines Selbstmörders im Wald Aokigahara in Japan. Der endlose Wald am Fuße des Fuji, auch Sea of Trees genannt, ist bekannt als Suicide-Spot, den vor allem Japaner aufsuchen. Aber auch Ausländer kommen hierher, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Yūrei ist der japanische Name für die Geister der Verstorbenen, die man im Wald rufen hören kann. Auch ich habe sie schon vernommen, als ich den Aokigahara während einer Japan-Reise besucht habe. (Für die Neugierigen: Link zum Reisebericht) Daher bin ich besonders gespannt auf dieses Stück Suizidalmusik.
Das erste Stück „Desperate, Aokigahara“ versinnbildlicht die Wertlosigkeit der Existenz. Es beginnt ganz ruhig, doch mit beginnender Erkenntnis steigert sich auch die Verzweiflung, und das macht sich auch in der dramatisch anschwellenden Musik bemerkbar. Der langsame Rhythmus verströmt dabei pure Hoffnungslosigkeit, verstärkt durch den fast unkenntlich in den Hintergrund gemischten klagenden Gesang. Ein ruhiges Zwischenstück macht deutlich, dass die Entscheidung gefallen ist, in den Wald zu gehen. Mit einer unheimlichen Stimmung beginnt „Mourning, Aokigahara“. Man kann förmlich spüren, wie die Person den Wald durchstreift. Gleichzeitig durchzieht das Klagen der Yūrei, der Geister, den Track. Die musikalische Atmosphäre ist ähnlich intensiv und dicht wie der Wald.
Ganz ruhig und sanft legt sich in „Surrender, Aokigahara“ die Schlinge um den Hals, und mit dem einsetzenden Todeskampf bricht ein Inferno herein. Die Grundmelodie bleibt erhalten, wird aber überlagert durch das eigene innere Schreien und das der Geister. In „Weightless, Aokigahara“ schwingt der Körper im Rhythmus des Windes, der durch die Bäume streift. Doch in diesem Wald ist niemand allein, und die anderen Seelen gesellen sich hinzu und schwellen zu einem Crescendo an. Schlussendlich bleibt in „Unending, Aokigahara“ nur die Dunkelheit, die einen umgibt. Die atmosphärische Dichte bleibt weiter ungebrochen sehr hoch, und einige Chorstimmen lassen sich ausmachen. Am Ende findet die Seele ihren Frieden, muss aber von nun an zusammen mit den anderen Geistern fortan den Aokigahara durchstreifen. Sie ist zu einem Yūrei geworden.
Fazit: Yūrei bildet einen Gegensatz zur Stille des Aokigahara, der aber kein Widerspruch ist. Das Album ist keine leichte Kost, sowohl in musikalischer als auch in inhaltlicher Hinsicht und kann sehr verstörend wirken auf unbedarfte Hörer*innen. Gleichzeitig aber übt Yūrei auf mich eine magische Faszination aus, denn die dunklen Emotionen wie Trauer, Schmerz und Verzweiflung sind fast schon körperlich spürbar und machen das Album zu einer intensiven Erfahrung, für die man sich die Zeit nehmen muss. Meine persönlichen Erlebnisse vor Ort spielen da sicherlich auch mit rein. Ich höre den Aokigahara noch immer nach mir rufen.
Wer klassischen norwegischen Black Metal sucht, wird hier keine Double Bass Drum Gewitter finden. Auch wenn Black Metal sicherlich der Ausgangspunkt der Reise ist, geht diese doch in Richtung Post (Black) Metal und auch Funeral Doom. Es lassen sich u.a. Bezüge zu AMENRA, Elend und AHAB finden, selbst die Atmosphäre mancher Songs von Fields of the Nephilim, wenn auch die Musik an sich in diesem Fall wenig gemein hat.
Anspieltipp: Weightless, Aokigahara
Eclipsus – Yūrei
Talheim Records, Vö. 31.03.2021
MP3 5,00 $ erhältlich über Bandcamp
CD 11,90 €, erhältlich über Talheim Records
Homepage: https://www.facebook.com/eclipsed.us/
https://eclipsus.bandcamp.com/releases
https://talheim-records.com/de/
Tracklist:
01 Desperate, Aokigahara
02 Mourning, Aokigahara
03 Surrender, Aokigahara
04 Weightless, Aokigahara
05 Unending, Aokigahara
(1694)