Grenzen verschwimmen

COVER-ALBUM-Aus dem italienischen Bologna stammt das 2015 gegründete Trio European Ghost. Für Texte und Gesang zeichnet sich Cristiano Biondo verantwortlich, Bassist Giuseppe Taibi programmiert außerdem die Drums und bedient ebenso zusätzlich den Synthiesizer wie Gitarrist Mario D’Anelli. Der Titel ihres neuen Albums No Peace, No Sleep, No Shelter ist von dem italienischen Dichter Emanuel Carnevali entlehnt, der den haluzinogenen Traum eines amerikanischen Einwanderers beschrieben hat. Bereits das Vorgängeralbum Collection of shadows hatte mich begeistert (Link zur Review), um so mehr bin ich nun gespannt, wohin die Traumreise geht.

Drone-Brummen und Schlagzeug-Beat, sonst nichts. Sehr minimal beginnt das Album mit „Stars in heaven“, erst nach ein paar Takten gesellen sich Synthesizer dazu, und schließlich auch der nachhallende Gesang. Das ist ein ziemlich cooler Opener, und mit „Chrematismos“ sind auch Bass und Gitarre zusätzlich zu den eben genannten Zutaten dabei, was uns deutlich mehr in Richtung Post Punk bringt. In „White foals“ erhalten mehr elektronische Elemente Einzug, sodass es zwar zum einen tanzbarer wird, zum anderen aber gleichzeitig viel atmosphärischer. Es entsteht eine Art Schwebezustand, den ich nur schwer in Worte fassen kann. Auffällig in „Good night“ ist zunächst das tiefe Brummen vom Bass, das von kalten Synthie-Klängen begleitet wird. Zusammen mit dem Gesang wird schließlich eine Stimmung erzeugt, in der man sich beim Tanzen verlieren kann. „Hermetic“ ist eigentümlich ruhig ausgefallen, übt aber eine ziemliche Faszination auf mich aus, da sich die Atmosphäre langsam und stetig steigert. Es hat ein bisschen was wie von einer Mischung aus „With or without you“ von U2 und „Last exit for the lost“ von Fields of the Nephilim.
Im Anschluss legt „Cold lips“ einen stringenten Beat vor, über dem von den 80ern inspirierte Wave-Klänge liegen, gepaart mit der typischen Melancholie im Post Punk. Das Titelstück „No peace, no sleep, no shelter“ transportiert den Grundsound von European Ghost richtig tief ins Dunkle der Nacht, was das Herz aller Schwarzkittel höherschlagen lassen sollte. Leichte Hinweise auf The Sisters of Mercy lassen sich erahnen, dennoch ist dies eine eigenständige Form von Gothic Rock. In „Living in a tomb“ lässt mich irgendetwas zwar nicht musikalisch, aber von der erzeugten Stimmung her an King Dude denken. Vielleicht eine gewisse Traurigkeit, die spürbar ist. „The wind that comes from underground“ wirkt geheimnisvoll auf mich. Der Rhythmus erinnert mich dabei stark an „Headhunter“ von Front 242, aber das war es dann schon mit den Gemeinsamkeiten. Zum einen rummst der Beat nicht EBM-mäßig, zum anderen zelebriert der Song eine eigenartige und kalte Wave-Atmosphäre. Bei „The garden of delight“ hatte ich schon auf eine Coverversion des gleichnamigen Titels von The Mission gehofft, aber nein. Nach dem sehr ruhigen Beginn schiebt sich zwar tatsächlich so etwas wie eine Gothic-Gitarre ins Bild, doch es entwickelt sich ein sehr einfühlsamer und melancholischer Song. Zum Abschluss folgt mit „Metropolix“ noch einmal eine tanzbare Nummer, die trotzdem sehr atmosphärisch ausfällt. Gleichzeitig verbreitet der düstere Gesang eine Grabesstimmung. Und auch, wenn das eigentlich widersprüchlich erscheinen mag, läuft es in der Kombination gut zusammen.

Fazit: Auch auf ihrem dritten Album No Peace, No Sleep, No Shelter bleiben European Ghost sich treu. Sie erforschen weiter ihren musikalischen Kosmos, bei dem sie sich zwischen Wave, Post Punk und Gothic bewegen und die Grenzen verschwimmen lassen. Dennoch wiederholen sie sich nicht, und auch hier wieder sind die Stücke abwechslungsreich, und es wird nicht langweilig. Denn gerade in diesem Grenzbereich Wave und Post Punk gab es in den letzten Jahren viele Bands, die sich irgendwie ähnlich waren und vieles wie schon öfter gehört klang.

Anspieltipps: White foals, Hermetic, No peace, no sleep, no shelter

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European Ghost: No Peace, No Sleep, No Shelter
Icy Cold Records, Vö. 23.09.2022
MP3 10,00 €, CD 13,00 €, LP 20,00 € erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://europeanghost.it/
https://www.facebook.com/europeanghost.it/
https://www.facebook.com/icycoldrecords
https://icycoldrecords.bandcamp.com/

Tracklist:
01 Stars in heaven
02 Chrematismos
03 White foals
04 Good night
05 Hermetic
06 Cold lips
07 No peace, no sleep, no shelter
08 Living in a tomb
09 The wind that comes from underground
10 The garden of delight
11 Metropolix

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