Kontraste und Überraschungen

HOO_TWM_SplitEs gibt sie zum Glück noch, in der totalen Überflutung an mittelprächtiger bis anhörbarer Musik, diese kleinen Perlen, auf die man mehr oder weniger durch Zufall stößt, und die einem schon beim ersten Hören eine veritable Schnappatmung bescheren. Hierzu gehört die schwedisch-italienische Formation Hands of Orlac, die gerade zusammen mit den Finnen von The Wandering Midget eine Split-CD veröffentlicht hat. Beide Bands sind mir bisher unbekannt, und beide begeistern mich vom ersten Ton an. Das hat Seltenheitswert. Großen Seltenheitswert! Was kann man sich also unter den beiden Kapellen vorstellen?
Hands of Orlac stammen aus dem schwedischen Malmö und bestehen zu je 50 % aus schwedischen und italienischen Musikern. Viel bekannt ist nicht über die Truppe, die sich ganz dem Horrorgenre sowie den dunklen Aspekten italienischen Progressive Rocks verschrieben hat. Eine gewaltige Prise klassischer Horror Metal der Achtzigerjahre gehört auf jeden Fall auch dazu (Mercyful Fate z.B.) sowie die typische Frickelei und Verspieltheit (man beachte die Flöte) der Siebzigerjahre. Eindringlicher weiblicher Gesang, eine düstere Atmosphäre und ausufernde Songstrukturen – „Curse of the human skull“ dauert über dreizehn Minuten! – bestimmen den Sound der Malmöer. Ich höre da neben den genannten Referenzen auch noch moderne Vertreter des beliebten Retrosounds heraus, wie die leider nicht mehr existenten Purson, Jess and the Ancient Ones oder Blood Ceremony. Eine mitreißende und hochgradig spannende Mischung, die jeder, der mit den genannten Komponenten etwas anfangen kann, unbedingt antesten sollte. Viel Material gibt es von der mysteriösen Gruppierung leider bisher noch nicht, zwei Alben (Hands of Orlac, 2011, Figli del crepusculo, 2014) sowie eine EP (Metal and the might / Demon soul) und eben die Songs auf dieser Split-CD. Hier sticht neben dem bereits erwähnten Monstertrack das etwas rockigere „From beyond the stars“ heraus. Die kurzen Instrumentalstücke „Per aspera“ und „Ad astra“ sind atmosphärische Beigaben, die ich mir auf einem vollständigen Album noch besser vorstellen kann als auf diesem kurzen Format.

Die zweite Band der Platte stellt einen riesigen Kontrast zu der Verspieltheit von Hands of Orlac dar und passt trotzdem irgendwie hervorragend dazu. Die seit 2005 aktiven Finnen The Wandering Midget haben es sich einfach gemacht und nur einen Song beigesteuert, der aber dafür gleich mal über achtzehn Minuten lang ist. „Where we march the vultures follow“ beginnt nach einem unheimlichen Intro mit einer fetten Doom-Riffwalze. Nach einiger Zeit setzt der Gesang ein, der sehr angenehm und kraftvoll glorreiche Kämpfe, Schlachtepen und alles, was so dazugehört, heraufbeschwört, ohne ins peinliche Knödeln abzurutschen. Ich fühle mich etwas an die Italiener von Doomsword erinnert, die den schmalen Grat zwischen ergreifender Epik und kitschiger Schlachtenromantik immer perfekt gemeistert haben. Hut ab vor The Wandering Midget – Doom kann ganz schnell eintönig werden, Epik ebenso, doch diese achtzehn Minuten haben es in sich.
Die letzte offizielle Veröffentlichung der Finnen liegt fünf Jahre zurück (From the meadows of opium desire), es wird also höchste Zeit für mehr neues Material. Ich bin gespannt, was da noch nachkommt.

Zwei bisher noch nicht allzu bekannte, absolut hochklassige Bands mit jeweils eigenständigem Sound, den man sonst nicht an jeder Milchkanne findet – was will man mehr. Reinhören, kaufen.

Anpieltipp: Curse of the human skull, Where we march the vultures follow

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Hands of Orlac / The Wandering Midget – Split
Cruz del Sur / Soulfood, 08.09.17
Länge: 40:15 Minuten
Kaufen: € 14,95 bei Nuclear Blast, LP € 19,99

Tracklist:
1. Hands of Orlac – Curse of the human skull
2. Hands of Orlac – Per aspera
3. Hands of Orlac – From beyond the stars
4. Hands of Orlac – Ad astra
5. The Wandering Midget – Where we march the vultures follow

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