Brachial durchdacht

Aus dem wunderschönen Wien kommt nicht nur gutes Gebäck und der zugegebenermaßen liebevolle Akzent (Schmäh), sondern auch eine der besten, wenn nicht die beste Post-Black-Metal-Band Harakiri for the Sky. Seit dem Gründungsjahr 2011 beglücken sie die Hörerschaft im zweijährigen Rhythmus mit Meisterwerken ihres Fachs. Dabei ist jedes Album homogen und in seiner Grundstimmung konstant lebensverneinend, jedoch immer gespickt mit neuen Nuancen. Das 2016 veröffentlichte Album III: Trauma ist eines meiner All Time Favourits und hatte damals die Hürde ziemlich weit nach oben geschraubt. Voller Erwartung erschien am 19. Februar das bereits fünfte Album Mӕre über das absolut hervorragende Label AOP Records. Wurde meine hohe Erwartung erfüllt?

Ich gestehe, selten auf eine Veröffentlichung hin die Tage zu zählen. Dieses neue Album war eine dieser Ausnahmen. Wer Harakiri for the Sky kennt, der weiß, dass die Spielzeit sehr opulent ausfällt. So beträgt die Gesamtlänge von den hier enthaltenen zehn Songs sage und schreibe fast 85 Minuten verteilt auf 2 CDs. Gleich beim Opener, „I, pallbearer“, wird die Richtung gewiesen. Melodischer Black Metal mit allerlei Tiefgang und Elegie. Die Produktion lädt förmlich dazu ein, seine 1000 Watt Boxen (wer welche hat) aufzudrehen und sich dem hinzugeben. Mal langsam, mal rasend und doch immer mit der schön schwurbelnden Gitarrenmelodie, die zum Glück gleichberechtigt mit den anderen Instrumenten im Vordergrund steht. Wegen Song Nummer 2, „Sing for the damage we’ve done“, alleine würde ich mir ein Live Konzert von Harakiri for the Sky sobald wie möglich anschauen. Ein absoluter Brecher, der einem wie eine Dampframme mitreißt und seine misanthropische Verzweiflung herausschreit. Die Mörderbreaks wurden auf die Sekunde genau eingestreut und machen süchtig. Einer der für mich besten Musiker wurde für diesen Song zur Zusammenarbeit überredet. Neige, seines Zeichen 50 % der Ausnahmeformation Alcest. Ein wenig hört man die Teilnahme von Neige heraus. „Us against december skies“ klingt in meinen Ohren recht heroisch, die Melodien nach Aufbruch. Ein Monster von einem Song, der einem die Luft zum Atmen nimmt durch seine konstante Brachialität. Das Ende dieses Stücks ist das Stimmigste, was ich in letzter Zeit gehört habe. Einnehmend, mitreißend und berührend. „I’m all about the dusk“ reiht sich nahtlos in das musikalische Konzept des Albums, und mir stellt sich die Frage, wie man so eine Perfektion hinbekommt. „Three empty words“ könnte der Hit des Albums werden. Groovend melodisch und wie ein Wirbel saugt er den Hörer in sich hinein. Die vielen Tempowechsel machen den Song sehr einprägsam und vor allem repeat würdig. Spätestens bei „Once upon a winter“ hält mich nichts mehr. Die wohl dosierte Härte der Gitarrenarbeit, die eine göttliche Melodie nach der anderen zaubert, und dieser Rhythmus, der durch das Ohr direkt in alle Regionen geht, ist sehr bemerkenswert. Habe ich meine Vorliebe zu gelegentlichen Ausbrüchen mal erwähnt? Die gibt es hier und was für welche. Was wäre Post Black Metal ohne die liebgewonnene immer wiederkehrende Hauptmelodie. In diesem Song stelle ich mir eine Kaskade oder ein weites Gewässer vor, in der die Melodie wie das Singen eines Delphins klingt. „And oceans between us“ grooved wie die Hölle. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Wirbel sich bei diesem Song verkrampfen! „Silver needle // Golden dawn“ ist vielleicht das Stück mit den meisten Core-Einflüssen. Handwerklich sicherlich gut gespielt, jedoch nimmt er mich nicht mit in seinen Kosmos. „Time is a ghost“ stimmt mich wieder friedvoller, herrlich wie man die Intensität hinbekommt. Man hat keine Chance auch nur eine Sekunde an etwas anderes zu denken, so wird man von einer Wand erdrückt. Hervorheben möchte ich die einlullende Gitarrenarbeit, die hier die Richtung angibt. Zu guter Letzt das Sahnehäubchen. Harakiri for the Sky haben sich an eines der in meine Augen besten Tracks aller Zeiten herangewagt und eine mehr als würdige Coverversion von Placebos „Song to say goodbay“ eingespielt. Man möchte meinen Brian Molko hätte den Song von Harakiri for the Sky gecovert, so perfekt wurde es hier adaptiert und eine brilliante Post-Black-Metal-Hymne daraus gemacht.

Fazit: Wie gut kann eine Band noch werden? Für mich ist dieses Album eine der absoluten Top-Veröffentlichungen 2021. Das Jahr ist zwar noch lang, aber so eine Meisterleistung ist schwer zu toppen. Das Album glänzt besonders im Wechsel zwischen Mid- und Up-Tempo. Eine Intensität auf CD Länge, die ich so lange nicht mehr gehört habe. Da denkt man mit Freude daran, was noch kommen mag. Bis dahin sage ich euch: absoluter Pflichtkauf!

Harakiri for the Sky – Mӕre
AOP Records, Vö. 19.02.2021
18,99 € Doppel CD Digipack
https://www.nuclearblast.de/de/produkte/tontraeger/cd/2cd-digi/harakiri-for-the-sky-maere.html

Tracklist
1 I, pallbearer
2 Sing for the damage we’ve done
3 Us against December skies
4 I’m all about the dusk
5 Three empty words
6 Once upon a winter
7 And ocean between us
8 Silver needle // Golden dawn
9 Time is a ghost
10 Song to say goodbye (Placebo Cover)

Band: https://artofpropaganda.bandcamp.com/album/maere
Facebook: https://www.facebook.com/HarakiriForTheSky

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