Ein Licht am Ende des Tunnels … und es ist kein Zug

Gimme daggers coverFünf Jahre sind seit dem letzten Album Mandrills vergangen, die sicher für jeden von uns ereignisreich waren, für Henric de la Cour aber ganz besonders. Der seit seiner Kindheit an Mukoviszidose erkrankte Musiker musste sich mit der Entdeckung eines Medikaments, das seine Lungenfunktion dramatisch verbessert, auseinandersetzen (wie er zuerst diese Nachricht aufnimmt, sieht man in dem hervorragenden Dokumentarfilm über ihn), was ihn erst einmal in eine tiefe existenzielle Krise gestürzt hat. Alles ändert sich über Nacht, er muss neue Prioritäten setzen und seinen Platz in diesem neuen Leben finden. Als er sich gerade damit arrangiert hat, ziehen ihn zwei schwere Blutvergiftungen innerhalb von drei Jahren aus dem Verkehr, und der Tod steht plötzlich doch wieder vor der Tür. Dank seiner verbesserten Lungenfunktion übersteht er alles, doch die Rekonvaleszenz kostet viel Kraft. Parallel hat er aber auch eine neue Liebe gefunden und seine Freundin Tess diesen Sommer geheiratet. Fünf äußerst turbulente Jahre also, die er letztendlich nach diversen Schreibblockaden auch textlich und musikalisch zusammen mit seinem Produzenten Rikard Lindh verarbeiten konnte. Das Ergebnis ist Gimme daggers – endlich ist es da!

Als Erstes fällt auf, dass die ganz großen Synthiehymnen der zwei Vorgängeralben fehlen – kein „Dracula“ oder „Chasing dark“, alles wirkt zurückgenommener und zerbrechlicher, vorsichtiger, tastender. Das „Slow death intro“ transportiert die Stimmung von Gimme daggers perfekt. Die Platte spiegelt den Aufbruch in ein Leben wieder, in dem zum ersten Mal eine Zukunft möglich scheint. In dem Hoffnung erlaubt ist, sogar Liebe, Heirat. Für jemanden, dessen ganzes Leben klar vorgezeichnet war – ein junger Tod -, schier unvorstellbar. Hoffnung macht verletzlich, und doch ist sie wunderschön. „Someday but not today, I will take the easy way“, singt Henric in „Two against one“, dem schon seit zwei Jahren bekannten Song, der so schön goth-rockig nach vorne geht. Für den Moment müssen sich Tod und Resignation mit einem Randplatz begnügen. „I have no fear, I feel no angst, if that were the case I’ve been through worse my love“ lautet die erste Zeile aus „Body politic“, der zum Heulen schönen Ballade, die erst so langsam beginnt und sich dann mit toller Streicheruntermalung steigert.
Im herzzerreißenden „Kowalski was here“ hören wir die Zeile „and I know that life is a precious thing, but it fucks you up from the start“, und auch der zerbrechliche, zurückgenommene Gesang, die sehnsüchtigen Keyboardmelodien, die alles durchdringende Melancholie symbolisieren das frühere Leben, das sich zwar geändert hat, aber natürlich immer noch präsent ist. Ja, das Leben kann einen wirklich ganz schön verkorksen, das wissen wir alle.
Bereits in den ersten vier Songs werden also so viele Gefühle und Facetten eines Lebens behandelt, dass man erst einmal eine Pause machen müsste. Doch Henric hat einen bereits mit seinem sensationellen Melodiegespür und natürlich der einzigartigen Stimme tief in seine Welt hineingezogen. Auch in „Driver“ besingt er das ambivalente Verhältnis zu seinem neuen Leben, das dynamischer ist, aber deshalb noch lange nicht nur hell. Die Dunkelheit ist immer noch da. „I hope one of these days the hatred in my heart will dry out“, doch „as long as the thought of my kid makes me smile, I’ll be riding on“ – für sein Kind da zu sein, bedeutet den Glauben an eine Zukunft.
Trotzdem gibt es düstere Zeiten, bittere Rückblicke, wie im klagenden und fast ausschließlich auf Henrics Stimme konzentrierten „Hank sometimes“. „I got weak, I got frail, I got confused, I faded away“. Zum Glück hat er sich wiedergefunden und kann den Tod – „Mr. D“ – jetzt als eine Art Kumpel betrachten, aus dessen Griff er zwar entkommen ist, der ihn aber natürlich dennoch begleitet. Das entspanntere Verhältnis spiegelt sich in dem in den Hintergrund gemischten Gesang wieder, den subtilen Synthiesounds, die allerdings nicht weniger intensiv sind. Auch „New building“ ist beim ersten Hören ruhig und unauffällig, offenbart aber schon bald die typischen HdlC-Qualitäten – einprägsame Melodien und ein großer Refrain. „Teeth, please“ erzählt von den inneren Zwiegesprächen, die Henric mit dem Tod geführt hat und immer noch führt, dass er sich von ihm gelöst hat, sie dennoch aber mit „thousands of knots“ miteinander verbunden sind. Hier zeigt Gitarristin Camilla Karlsson wieder einmal, was für eine schöne Stimme sie hat und wie gut diese mit Henrics harmoniert.
„Worthless web“ – auch schon länger bekannt – taucht ebenfalls tief in Henrics dunkle Gefühlswelt ab, musikalisch fühlt man sich fast ein wenig an seine erste Band Yvonne erinnert, so zurückgenommen ist das Synthiefundament. Ein Lied, das man sich ein wenig erarbeiten muss, das einen aber mit der Zeit nicht mehr loslässt. Auch „Arkham supermarket“ könnte fast aus seiner Indie-Vergangenheit stammen und kombiniert mit seinem flotten Grundrhythmus und den schönen Melodieteppichen perfekt die beiden musikalischen Welten.
„Fury“ beschließt diese intensive Reise durch alle Facetten düsterer und ein klein bisschen weniger düsterer Gefühle eines Mannes, der sehr viel Kraft in den letzten Jahren gebraucht hat, aber auch viel gewagt hat.

Gimme daggers darf man nicht mit den zwei Vorgängeralben vergleichen, aber man kann ähnliche Erwartungen daran stellen: Emotionen, Melodien, tiefgründige Texte, Ehrlichkeit und eine großartige Stimme. Wer auf dieser Platte auf die ganz großen Pop-Perlen verzichten kann, sondern sich auf vorsichtigere, zartere Töne einlassen will, wird mit einer immensen Weiterentwicklung des Künstlers Henric de la Cour belohnt und einem hochklassig produzierten Album, das sich geschickt irgendwo zwischen Synthie, Pop und Indie platziert.

Anspieltipps: Kowalski was here, Body politic, Hank sometimes

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Henric de la Cour: Gimme daggers
Progress Productions, 14.09.18
Länge: 46 Minuten
Kaufen: € 16 direkt bei der Plattenfirma oder € 15,45 bei POPoNAUT

Tracklist:
1. Slow death intro
2. Kowalski was here
3. Two against one
4. Body politic
5. Driver
6. Hank sometimes
7. Mr. D
8. New building
9. Teeth, please
10. Worthless web
11. Arkham supermarket
12. Fury

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