Musik zum Schweben

cover_1535539084718647[1]Nach der Bandgründung 2015 erschien bereits ein Jahr später eine selbstbetitelte EP, und mit der im Gepäck begleiteten die Kölner Holygram die britische New-Wave-Legende OMD auf deren Europa-Tournee 2017. Marius Lansing spielt Gitarre und Bennett Reimann den Bass, Sebastian Heer sitzt am Schlagzeug, Pilo Lenger bedient die Synthesizer, und Patrick Blümel übernimmt den Gesang. Für das Debütalbum Modern cults haben sie als Verstärkung Maurizio Baggio engagiert, der mit The Soft Moon auch schon die Alben Deeper und Criminal aufgenommen hat. Aber genug Namedropping, wenden wir uns den modernen Kulten zu.
„Into the void“ führt den Hörer als Intro mit nicht zu identifizierenden Geräuschen langsam in Modern Cults ein, und dann startet auch schon der atmosphärische Titelsong „Modern cults“. Bei den wabernden Gitarren zu Beginn erwarte ich schon Gothic Rock zu hören, aber was sich dann entwickelt, möchte ich eher als New Wave Rock bezeichnen. Das klingt neu und retro zugleich. Der Anteil an New Wave wird auf „A faction“ weiter ausgebaut. Mal kommen mir Duran Duran in den Sinn und mal Camouflage, aber letztendlich kann ich die Gedanken dazu nicht richtig fassen, denn das Sound-Vorbild stammt zwar aus den Achtzigern, wird aber modern erweitert. Mit seinem stringenten Rhythmus, der etwas von New Order hat, eignet sich „Signals“ bestens für die Tanzfläche. Das Bassspiel sorgt für Post-Punk-Flair, und Gitarren und Gesang geben sich ganz dem New Wave hin, dessen verträumte Variante wie hier man inzwischen viel zu selten hört. Der Rhythmus setzt sich auf „Dead channel skys“ fort, aber die Synthesizer sorgen für einen abgefahrenen Sound, der mich gedanklich in den Weltraum versetzt. Konsequent wird auf Gesang verzichtet.
Beim Titel „Hideaway“ hoffe ich schon auf ein Erasure-Cover (ein Titel auf dem Album The Circus von 1987), aber mitnichten. Zu einem kalten Schlagzeug-Sound setzt ein einzigartiges Bassspiel ein, und der Gesang dazu versetzt mich in einen Schwebezustand. Die unterkühlte Wave-Atmosphäre wird hier perfekt zelebriert. Direkt zu Beginn von „Still there“ schießen mir Paralysed Age in den Sinn, aber mit den einsetzenden Synthies bekommt der Song eine ganz eigene Note, zusätzlich bereichert durch extra viel Hall auf der Stimme trifft hier wieder Gothic Rock auf Wave. Der Hall ist auch auf „Odd neighborhood“ bis zum Anschlag aufgedreht. Die Klänge sind fast durchgängig überirdisch hoch angesiedelt, nur der Bass verhindert das Abheben. Dennoch kommt die deprimierte Stimmung gut rüber, ebenso wie bei „She’s like the sun“, das aber insgesamt eingängiger und tanzbarer ausfällt. Ein hypnotischer und stetig treibender Rhythmus ist das Markenzeichen von „Distant light“, zu dem sich Gitarrenwände aufbauen und Synthesizer alles zusammenhalten. Ein Song, in dem man sich verlieren kann. Das trifft auch auf den letzten Song „1997“ zu, dessen Schwermut einen zu erdrücken droht. „Atmosphere“ von Joy Division könnte hier Modell gestanden haben, und gleichzeitig verbreitet der Song aber etwas Neues.
Auf der Bonus-CD finden sich elf Remixe verschiedener Künstler, die die Songs noch einmal neu beleuchten. Nun bin ich allgemein kein großer Freund von Remixen, daher solltet ihr euch selbst ein Bild von ihnen machen.

Fazit: Holygram tauchen auf Modern Cults in die 80er Jahre ab, aber ohne ihre Vorbilder einfach nur zu kopieren. Aus New Wave, Gothic Rock und Post Punk kreieren sie mit Hilfe der Synthieklänge ihren eigenen Sound, der in die Zukunft blickt. Dabei kann man den Nebel auf dem Cover förmlich riechen. Modern Cults ist insgesamt ein tolles und atmosphärisches Album, auf das die junge Band stolz sein kann, und dennoch ziehe ich einen Punkt ab. Das ist Jammern auf hohem Niveau, ich weiß, und hat einfach mit meinen persönlichen Präferenzen zu tun. Aber gleichzeitig bin ich sicher, dass Holygram mich bei dem Potential mit dem nächsten Album völlig abholen werden.

Anspieltips: Signals, Hideaway, Distant light

Holygram: Modern cults
SPV/Oblivion/Cleopatra Records, Vö. 09.11.2018
MP3 Download 10,00 €, 2CD 15,00 €, LP 25,00 € erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://www.facebook.com/holygram.official/
holygram.band

Tracklist:
01 Into the void
02 Modern cults
03 A faction
04 Signals
05 Dead channel skys
06 Hideaway
07 Still there
08 Odd neighborhood
09 She’s like the sun
10 Distant light
11 1997

Bonus CD:
12 Signals (Chris Knipp Remix)
13 Modern cults (Blind Delon Remix)
14 She’s like the sun (The Foreign Resort Remix)
15 Distant light (Dawn Amer – Verheißung Mix)
16 Daria (Ash Code Remix)
17 Signals (TRAITRS – Mould in the mother Remix)
18 A faction (Ouchene Remix)
19 Hideaway (Dreamed by Box And The Twins)
20 Odd neighborhood (Tobias S Remix)
21 Still there (Wires & Lights Remix)
22 Acceleration (Seasurfer Remix)

(2645)

1 Kommentar

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] die Kölner Band Holygram hatte ich bereits deren Debütalbum Modern cults rezensiert (Link zur Review), und auch wenn es nicht ganz für die volle Wertung gereicht hatte, bin ich doch sehr gespannt auf […]

Kommentare sind deaktiviert.