Brave new world

So schön der Titel der Band klingt, so schön ist auch die Entstehungsgeschichte. I want poetry wurde Anfang 2018 von der Sängerin Tine von Bergen und dem Pianisten Till Moritz Moll gegründet. Die beiden kommen aus Dresden. Der Name stammt aus einem Zitat aus dem Roman Schöne neue Welt von Aldous Huxley: „But I don’t want comfort. I want God, I want poetry, I want real danger, I want freedom, I want goodness, I want sin.“ Schön, oder?

2019 wurde eine erste Single – „Adrenaline“ – veröffentlicht. Selbst internationale Musikblogs waren fasziniert. Das Duo wurde für diverse Awards nominiert. Am 20. November 2020 erschien nun das Debütalbum Human touch. Laut I want poetry setzt es sich thematisch mit verschiedenen Aspekten von menschlicher Berührung auseinander. Zu Zeiten von Corona mit seinem Social Distancing ein schönes Thema.

Gleich bei den ersten Tönen fühle ich mich angesprochen. Klavierspielereien, eine schöne weibliche Klarstimme und doch verspielt, zerbrechlich manchmal. “Water” vereint dann die zarten Chöre, die manchmal Enyas Musik untermalen, mit einer starken und doch ätherischen Stimme, mit der Stimmgewalt einer Florence Welch. Dieser zweite Song auf dem Album ist der intensivste. “All my dreams unfolding, let it all run wild, and go to where the water flows, where the water, where the water flows …”, in ein paar eindringlichen Wiederholungen. Das könnte ich immer und immer wieder hören. Ein erstaunlich sensibler und doch intensiver Ohrwurm. Dazu wurde auch ein wunderschönes Video produziert, in Zusammenarbeit von Produzenten und Technikern, die auch schon mit Lana Del Rey arbeiteten. “The world within”(Interlude) ist ein herrlich kleines Zwischenspiel, nur Klavier, nicht gesungen. “Chandler” erzählt eine richtige kleine Geschichte. Sie ist nicht immer fröhlich, obwohl die Instrumentierung es einem glauben machen will. Auch viele Jahre, die manchmal vergehen, machen nicht automatisch etwas besser. Es geht ja um Berührungen, um “Human touch” auf dem Album. Und hier kann jemand einfach nicht aus seiner Haut heraus. Auch “Bolts of lightning” erzählt eine Story. Wie einfach manchmal etwas wäre, nur durch eine kleine Berührung. “Islanders” wird im Refrain so richtig zur Mitsinghymne, treibend, mitreißend. “The sensual”, was wieder ein eigentlich gesangsloses Interlude ist, erinnert alleine schon vom Titel her an Kate Bushs “The sensual world” – unheimlich irgendwie. “Aurora” nimmt noch einmal das Tempo etwas heraus, ist stiller. Aber das letzte Stück auf dem Album, “Under the radar” bietet noch einmal einen Querschnitt: Klavier, Streichinstrumente, eine zarte, verspielte und doch starke Stimme, eine Geschichte wird zärtlich erzählt.

Auf diesem Erstlingsalbum gibt es großartiges, melancholisches Klavierspiel, das von Können zeugt, zugleich aber kühle elektronische Elemente, kleine gezupfte Musiksprenkel und dann wieder großes Pop- und Musik-Kino, bereit für einen Auftritt mit Tänzerinnen in flatternden Gewändern in der Olympiahalle. Filmmusik, Dream Pop, Neoklassik, Indie-Pop, Ambient, alle diese Begriffe passen teilweise. Ich denke beim Durchhören all dieser verschiedenen Lieder von der Stimmung her an Dead Can Dance, an Irfan, Björk, Aurora oder Florence & The Machine, an Agnes Obel an ihrem Klavier, an Tori Amos, Kate Bush mit ihren Stimmspielereinen, an Enya. Die sehnsuchtsvollen Klaviermelodien von Till Moritz Moll sowie die wundervoll wandelbare Stimme von Sängerin Tine von Bergen machen die Kompositionen der Songs einmalig. Man will und kann sie zwar vergleichen mit Stücken so einiger anderer Künstler*innen, dennoch sind sie einzigartig. Ich denke, wir werden ihre Musik noch oft hören, vielleicht auch in guten Serien oder Filmen. Hoffentlich aber auch bald mal live.

Anspieltipps: Water, Islanders

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I want poetry: Human Touch
Recordjet (Edel), Vö. 20.11.2020
CD: 15,69 € – MP3: 10,45 € – LP 28,99 € z.B. bei Saturn

Tracklist:
01. Growing pains 4:00
02. Water 4:14
03. Adrenaline 3:50
04. The world within 2:01
05. Chandler 3:32
06. For the night 3:43
07. Bolts of lightning 4:34
08. Islanders 4:45
09. The sensual 0:50
10. Aurora 4:33
11. Under the radar 3:53

 

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