The Cure auf Speed?

Je-taime-passiveDie 2018 gegründeten JE T’AIME aus Paris hatte ich schon zu deren tollen selbstbetitelten Debüt vorgestellt (Link). dBoy verleiht der Band seine Stimme, Tall BastArd spielt Gitarre und Crazy Z den Baß. Doch anstatt richtig durchzustarten kommt plötzlich eine Pandemie dazwischen mit all ihren bekannten Folgen, und ich befürchtete schon, dass es bei einem One-LP-Wonder bleibt. Doch die Drei haben durchgehalten, weiter an ihrer Musik gearbeitet und sich dafür auch eine Zeitlang an die englische Küste zurückgezogen.
Passive ist nun der erste Teil eines Doppelalbums, das in Zusammenarbeit mit Manic Depression Records und Icy Cold Records erschienen ist, und dessen zweite Hälfte Aggressive im Oktober folgen soll.

„Another day in hell“ eröffnet das Album mit ruhigen Synthies, in die sich der recht dominante Rhythmus schiebt. Auch der Gesang scheint sich diesem etwas unterzuordnen, irgendwo zwischen Wave und Post Punk pendelt sich der Sound ein. Nach dem eher ruhigen Auftakt rockt „Dirty tricks“ aber richtig los, es wirkt auf mich wie The Cure auf Speed, zumal dBoy sich hier stimmlich wieder an Robert Smith annähert, wie das auch schon beim Debüt der Fall war. In „Lonely days“ ist zunächst das Baßspiel prägnant, zu dem sich die Gitarre dazugesellt. Aber auch die Synthiemelodie gepaart mit dem Rhythmus treiben den Song voran, sodass eine sehr tanzbare New-Wave-Rock-Mischung entsteht. Mit weniger Synthies aber nicht weniger tanzbar agiert „Unleashed“, das vergleichsweise düster wirkt und mehr im Post Punk verwurzelt ist. Ophelia Lecomte von Saigon Blue Rain hat in „Stupid songs“ einen Gastauftritt. Das Stück ist stark elektronisch geprägt und tendiert Richtung Cold Wave, vor allem wenn Ophelia singt oder besser gesagt haucht.
In „Cold“ agiert dBoy stimmlich etwas verhaltener, und trotzdem strahlt das Stück eine besondere Intensität aus. Insgesamt hat der Song etwas Deprimierendes, was hier aber nicht negativ verstanden werden soll, im Gegenteil. Zum Ausgleich sorgt darüber hinaus das folgende „Blood on fire“ für den nächsten Energieschub. New Wave trifft Rock, Vergangenheit trifft Gegenwart. Noch besser fängt diese spezielle Stimmung das folgende „Give me more kohl“ ein, indem es den Elektronik-Anteil mehr in die Höhe schraubt. Dazu gibt es auch ein echtes Video-Highlight, das Originalaufnahmen aus einer Gothic-Party im Deville’s 1983 in Manchester zeigt. Die Art und Weise, wie die Gitarre in „On the phone“ gespielt wird, hat etwas von Batcave. Das ist ein neuer Aspekt in der Musik von JE T’AIME, der ebenso cool wie souverän umgesetzt wird. Für den entspannenden Ausklang sorgt das über siebenminütige „Marble heroes“, das teilweise bei mir Erinnerungen an „Pictures of you“ von The Cure weckt.

Fazit: JE T’AIME haben sich mit ihrem Zweitwerk Passive Zeit gelassen, doch die haben sie ins Songwriting gesteckt. Lagen bei ihrem selbstbetitelten Album nur drei Songs über der Vier-Minuten-Marke, liegen jetzt nur noch drei darunter. Das lässt mehr Raum für die Entfaltung der Songs. Vor allem der elektronische New-Wave-Anteil hat an Bedeutung gewonnen. Daher fällt Passive etwas weniger düster aus als der Vorgänger, ist aber auch umso tanzbarer. Dennoch ist dies keine „Happy-Music“, denn die Texte offenbaren Wut und Verzweiflung. Die Wurzeln liegen erkennbar in den 80ern, jedoch begnügen such JE T’AIME nicht damit, sich darauf auszuruhen, sondern entwickeln ihren Sound weiter. Insgesamt dann zwar doch nicht zu The Cure auf Speed, aber wer weiß, wie es mit Agressive weitergeht.

Anspieltipps: Dirty tricks, Cold, Give me more kohl

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JE T’AIME: Passive
Manic Depression Records + Icy Cold Records , Vö. 14.02.2022
MP3 9,00 €, CD 13,00 €, LP 21,00 € erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://jetaime-music.com
https://www.facebook.com/jetaimethemusic
https://www.manicdepression.fr/en/
https://www.facebook.com/manicdepressionrecords/
https://manicdepressionrecords.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/icycoldrecords
https://icycoldrecords.bandcamp.com/

Tracklist:
01 Another day in hell
02 Dirty tricks
03 Lonely days
04 Unleashed
05 Stupid songs (feat. Ophelia)
06 Cold
07 Blood on fire
08 Give me more kohl
09 On the phone
10 Marble heroes

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