Wahr und aufrecht

 

joachim_witt_ich_cover_800Die Crowdfunding-Aktion auf der Plattform von PledgeMusic trägt Früchte, Joachim Witt veröffentlichte Ende August sein neues Album. Dieses Mal hat der Künstler sich voll und ganz in sein neues Album Ich eingebracht, Songwriting und Produktion gehen auch auf sein Konto. Man könnte meinen, er ist meiner Hoffnung auf ein neues musikalisches Experiment nachgekommen (s. Review zu Neumond).
Über allem stehen die Zurückhaltung bzw. der Minimalismus in der Musik zum neuen Longplayer und eine immer noch überzeugende Stimme.

Zum Einstieg nimmt mich der Künstler „Über das Meer“ mit. Vieles vom Wellenverlauf hat mit dem Leben zu tun, es ist ein ewiges Auf und Ab, Hin und Weg. Seine Liebe zum großen Gewässer ist den Fans auch schon bekannt aus Bayreuth 2, auf dem wir schon „Über den Ozean“ unterwegs waren. Ein weiteres Lieblingsthema ist auch die gelebte Zweisamkeit, „Was soll ich dir sagen“ weist auf die Staubschicht hin, die dabei entstehen kann. „Warten auf Wunder“ zeigt große Parallelen zu früheren Titeln auf: eine tiefe Stimme und die musikalische Untermalung mit Klavier oder auch Synthesizer. Der Song ist ein kritischer Blick auf das Leben, die Allgemeinheit und auf den Einzelnen. „Ein Troll zerdrückt meine Seele“ ist eine Wortwahl, die einem in „Bitte geh mir aus dem Weg“ begegnet und mich begeistert. Das abgelaufene Spiel der Zweisamkeit wird inszeniert. Mit „Hände hoch“ zeichnet der Altmeister anscheinend sein eigenes Leben nach, Hin- und Zuhören ist angesagt. Hinschauen kann man beim dazu entstandenen Video:

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Ein „Lagerfeuer“ ist wie eine Therapie: Feuer ist eine ureigene menschliche Erfahrung, die hier entstehende Romantik und das In-sich-hinein-hören sind wirkungsvolle Eindrücke. Westernhafter Gitarren-Sound zu Anfang, das ist mal was anderes, und dass am Ende des Lebens der Tod wartet, dürfte uns nicht erst durch „Wieviel mal noch“ klar werden. Nicht jeder ist einer physischen Achterbahnfahrt gegenüber aufgeschlossen, derweilen sind wir tagtäglich dieser wilden Aktion ausgesetzt: „Tod oder Leben“ versinnbildlicht dies in den Grundzügen. Erinnerungen mit einem Touch Erotik spiegelt „1971 oder ein Mädchen aus Amerika“ wieder. Es schwingt auch Traurigkeit mit, aber diese vergangene gelebte Liebe gilt es mitzuerleben. Gerade noch befanden wir uns in der Vergangenheit, im jetzigen „Es wirbeln die Äste“ wird das musikalische Gedicht erzählerisch dargeboten. Der Refrain „Dipndudndedo“ prägt sich meinem Gehirn schnell ein, und irgendwann singe ich mit, mitten in München, unterwegs zur Arbeit … Die Erinnerung an „Jetzt und ehedem“ (aus Bayreuth 2) schwingt bei diesem Titel bei mir mit. Es gibt ja schon so manches Mutter-Lied, aber das sphärische „Alles was ich bin“ drückt es für Joachim wohl am besten aus. Ein sehr persönlicher Einblick und ein rührender Dank finde ich. Let’s dance mit „Olé (Klub)“, wenn auch nicht Einheitsschritt sondern tänzerische Flexibilität gefragt ist. Selbst bei diesem locker daherkommenden Titel haut uns der ehemalige Vorreiter einer neuen musikalischen Welle seine Sichtweisen auf die Welt um die Ohren. Danach befinden wir uns auf dem „Nachtflug“: Legt euch einfach in den Wind, seht die Lichter und lasst euch darauf ein!

Diese 13 Titel sind etwas für alte Seelen, die ein intensives Leben hinter sich haben. Es schwingt viel Melancholie mit, die sparsam musikalisch unterlegten Stücke mit Gitarre, Klavier und Elektronik weisen eine gehörige Portion Philosophie auf. Die Stimme des 66-Jährigen wirkt szenenweise müde, aber beileibe nicht uninteressant.
Ich war bei mir nicht Liebe aufs erste Hören, aber daran bin ich gewöhnt. Nichtsdestotrotz lasse ich mich immer wieder gerne auf Joachim Witts musikalische Reisen ein, setze mich damit auseinander, und möchte seit 2012 keine Weiterentwicklung, keine Wortwendung und kein musikalisches Gedicht missen.
Durch die zurückgehaltene und immer wieder überzeugende Singweise könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass der ehemalige Herbergsvater alte und auch eigene Dichtungen, wie eben auch schon bei „Jetzt und ehedem“ und bei „Es wirbeln die Äste“ bewiesen, vertonen und singen könnte. Davon würde ich gerne mehr hören. Wünschen kann man ja ….

Fazit: Diese CD ist für mich ähnlich intensiv wie meine jungfräuliche Begegnung mit DOM aus dem Jahr 2012, und diese gehört für mich neben Bayreuth 2 zu meinen Favourites. Deshalb überrascht jetzt auch nicht die Bewertung:

:mosch:  :mosch:  :mosch:  :mosch:  :mosch:

Nicht in die Bewertung einfließen lasse ich die mir mit der CD übersandte DVD, die zur Fanbox gehört, da diese nicht vollständig bei mir angekommen ist. Joachim Witts gebrandete Selfie-Stange, eine handsignierte Autogrammkarte, ein Sticker und die Metallbox (s. bei amazon) liegen mir nicht vor. Wobei ich am traurigsten darüber bin, nicht im Besitz der Autogrammkarte zu sein.
Die DVD an sich überzeugt mit Live-Aufnahmen aus der vorangegangenen Tour zu Neumond mit den Titeln „Super gestört und super versaut“, „Sonne hat sie gesagt“ und „Tri-tra-trullala (Herbergsvater)“.

Joachim Witt: Ich
Oblivion/SPV, Vö. 28.08.15
Audio CD € 19,99 – mp3 € 9,99 – Vinyl € 22,99
amazon

Tracklisting:
1. Über das Meer
2. Was soll ich dir sagen
3. Warten auf Wunder
4. Bitte geh mir aus dem Weg
5. Hände hoch
6. Lagerfeuer
7. Wieviel mal noch
8. Tod oder Leben
9. 1971 oder Ein Mädchen aus Amerika
10. Es wirbeln die Äste …
11. Alles was ich bin
12. Olé (Klub)
13. Nachtflug

Selbst live erleben könnt ihr Joachim Witt am
08.10.2015 Hannover – Musikzentrum
09.10.2015 Wilhelmshaven – Pumpwerk
10.10.2015 Hamburg – Knust*
15.10.2015 Bochum – Matrix
16.10.2015 Erfurt – HSD
17.10.2015 Dresden – Beatpol
18.10.2015 Frankfurt – Batschkapp
29.10.2015 Berlin – C-Club*
30.10.2015 Leipzig – Stadtbad*
Support: Down Below und Leichtmatrose*

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1 Kommentar
  1. Horusauge
    Horusauge sagte:

    Down Below mussten die Tour absagen (Neo hat eine Kehlkopfentzündung). Als Ersatz wird Intrasonic einspringen.

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