When Punks and Synths unite
Auf die Band kontrolle bin ich leider erst jetzt über das Re-Release ihres Demos bei Bandcamp gestoßen. Mein neuester Fund ist also nicht mehr ganz aktuell, dennoch möchte ich ihn euch nicht vorenthalten. Das Trio stammt aus Solingen und Düsseldorf, es besteht aus Sänger und Bassist Daniel, Andrew sitzt am Schlagzeug und Carsten übernimmt Gitarre und Synthesizer. Das selbstbenannte Demo erschien bereits 2017, und das hier rezensierte Debütalbum Egal aus März 2019. Aber bekanntlich besser spät als nie, vor allem dann, wenn es sich um tolle Musik handelt. Bei dem Bandnamen kontrolle muss ich automatisch an die jeweils „Kontrolle“ benannten Songs von A+P und Isolierband von 1981 bzw. 1982 denken, und da ist man dann thematisch auch schon erstaunlich nah dran.
Mit breiten Synthie-Spuren beginnt „Baumarkt“, dann kommen nacheinander Schlagzeug, Saiteninstrumente und schließlich auch der Gesang. Eine tolle punkige Stimme, die die Musik und den textlichen Inhalt bestens transportiert. Synthwave trifft auf Punk, und in diesem Fall wirkt das ebenso retro wie hochaktuell. Beim Refrain bekommt die Stimme diesen expressiven 30er Jahre Ausdruck, ansatzweise ähnlich wie Till Lindemann von Rammstein in „Seemann“. Es folgt „Zurück“, das mich in die frühe Neue Deutsche Welle zurückschickt und irgendwie an Fehlfarben erinnert. Musikalisch agieren kontrolle aber viel komplexer, vor allem was den rockigen Aspekt betrifft. „Günther“ beginnt recht verhalten, bevor die Band dann doch losrockt und ein spannendes Wechselspiel beginnt. Ich frage mich, wer der Typ ist, aber vielleicht ist es auch besser, das nicht zu wissen. Dafür ist „Ich volk mich um“ eine klare Ansage an „besorgte Bürger“ und alle anderen Rechtsausleger, mit denen sich kontrolle in keinster Weise identifizieren können und wollen. „Ich volk mich um“ ist die logische Konsequenz und intelligent formuliert. Musikalisch ist das dank der Synthies und der breiten Gitarrenwand dramatisch inszeniert. Das folgende „360 Grad“ ist recht düster und ruhiger gehalten, ein bisschen Post-Punk-mäßig, steigert sich dafür aber beim Refrain umso mehr. Diese Intensität beim Gitarrenausbruch hat etwas von Post Metal und erinnert mich an AMENRA.
„Nacht“ hingegen empfinde ich als psychedelisch, wegen der langgezogenen monotonen Klänge. Anfangs wirkt das etwas sperrig, entwickelt aber nach mehrmaligen Hören eine hypnotische Wirkung. „Sitzen in der Bahn“ reißt einen aber auch schon wieder raus, denn es bietet tolle Flashbacks zu „Computerstaat“ von Abwärts. Es ist kein direktes Cover, könnte aber das 2.0-Upgrade darstellen. Der Rhythmus treibt den Song ähnlich voran, auch der Sprechgesang und die Aufzählung der Wochentage erinnern an den Klassiker. Im Anschluss lassen sich auch bei „Wirres Licht“ Parallelen finden, vor allem wenn es heißt: „1000 Agenten in der Kanalisation“. Es wirkt aber mit dem Hall deutlich unterkühlter und wäre eigentlich ein Cold-Wave-Song, doch mit den Refrains gibt es rockige Ausbrüche, die für gelungene Kontraste sorgen. Gabi Delgado von DAF sang einst „Alle gegen alle“, bei „Solitaire“ hingegen heißt es „Jeder gegen sich selbst“. Daniel singt dabei die Strophen mit einer seltsam hohl klingenden Stimme, nur beim Refrain wird es konsequent aggressiv. Der Schlusssong „Alle wollen zahlen“ schleppt sich mit einem schweren industriellen Rhythmus voran, das hat durchaus etwas von den Einstürzenden Neubauten, und auch die Intonierung des Textes passt dazu. Dennoch ist das keine Kopie und behält seine Eigenständigkeit.
Fazit: kontrolle treffen den Nagel auf den Kopf und liefern mit Egal ein höchst spannendes und abwechslungsreiches Debütalbum ab, in dem man auch bei mehrmaligen Hören immer wieder neue Details entdeckt. Ich hatte es eingangs schon beschrieben: Synthwave trifft auf Punk, und in diesem Fall wirkt das ebenso 80er retro wie hochaktuell. Das liegt auch an den rockigen Parts, die Ausflüge bis hin zu Post Metal unternehmen. Das ist wirklich toll umgesetzter und eigenständiger Wave Punk. Wenn die konservativen Parteien danach schreien, bin ich ja immer ablehnend vorsichtig. Aber in diesem Fall bin ich defintiv für mehr kontrolle.
Anspieltipps: Baumarkt, Ich volk mich um, 360 Grad, Sitzen in der Bahn
kontrolle: Egal
Holy Goat Records, Vö. 22.03.2019
MP3 erhältlich gegen großzügige Spende über Bandcamp, CD 11,90 € und LP 14,90 € erhältlich über Flight 13 Records
Homepage: https://www.facebook.com/kontrolleband/
https://kontrolleband.bandcamp.com/
https://facebook.com/holygoatrecords/
Tracklist:
01 Baumarkt
02 Zurück
03 Günther
04 Ich volk mich um
05 360 Grad
06 Nacht
07 Sitzen in der Bahn
08 Wirres Licht
09 Solitaire
10 Alle wollen zahlen
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