Düstere Geschichten und tragische Heldinnen

Leaves‘ Eyes ist eine der wenigen Bands, die in ihrer bisherigen Karriere nicht nur regelmäßig gute Alben abgeliefert hat, sondern sich sogar mit jeder neuen Scheibe steigern konnte. Man kann sich durch ihre Veröffentlichungen hören und Liv & Co. regelrecht beim musikalischen Wachsen zuhören, immer Neues entdecken und die Bildung des ganz eigenen Leaves‘ Eyes Stils verfolgen. Doch wenn jedes Album die Messlatte höher legt – muss dann nicht zwangsweise irgendwann eines erscheinen, das den hohen Standard nicht mehr erfüllen kann?

Thematisch immer noch in der nordischen Sagenwelt verwurzelt, verlassen Leaves‘ Eyes mit Symphonies of the Night das Meer und erweitern ihren Horizont nun verstärkt in Richtung germanischer und keltischer Überlieferungen aus dem mittelalterlichen Zentraleuropa. Die Schutzheilige der Kirchenmusik wird dabei ebenso behandelt wie eine Frankenkönigin und die tragische Ophelia aus Shakespeares Hamlet. Ob diese massive Ansammlung weiblicher Heldinnen ein politisches Statement ist … wer weiß. Im Vordergrund stehen letztendlich aber tapfere Frauen aus den düsteren Geschichten unserer Vergangenheit. Grausamkeit, Leid, Ohnmacht und Alleinsein. Symphonien der Nacht eben.
In einigen Stücken bereichern die neuen Themen den Klangteppich von Band und Orchester um einen folkigeren Sound, in anderen um massive Epik. Generell hätte das Orchester etwas präsenter gemischt werden dürfen, in den Hauptteilen vieler Stücke geht es leider etwas unter. Teilweise scheinen sich Leaves‘ Eyes auf ihre Wurzeln zu besinnen, denn manche Riffs erinnern an ihr orchesterloses Erstlingswerk Lovelorn, nur ausgereifter.
Nach einigen eher wenig beeindruckenden Stücken am Anfang kommt Symphonies of the Night spätestens ab Track 5 so richtig in Fahrt und geht deutlich stärker ins Ohr. Die Highlights des Albums sind definitiv in der zweiten Hälfte zu finden und reichen dabei von Leaves‘ Eyes typischen Gothic Metal mit derben Gitarrensounds und Growl bis zu hymnischen, nachdenklichen akustischen Balladen.
Livs Stimme scheint mit dem Alter immer kräftiger und etwas dunkler zu werden, ist nun nicht mehr dieses kristallklare Seufzen in den Höhen, sondern der beeindruckende, schmetternde Sopran einer Walküre. Besonders im titelgebenden Stück Symphony of the Night brilliert sie und hält mühelos mit Genregrößen wie Simone Simons (Epica) und Tarja mit.
Symphonies of the Night ist im Vergleich zu seinen Vorgängern rhapsodischer und düsterer, man tut sich etwas schwerer, Ohrwürmer zu finden. Erst beim intensiveren Hören entdeckt man die vielen mitreißenden Einzelteile, die das Album ausmachen. Die ersten paar Stücke gingen ziemlich spurlos an mir vorbei, doch man sollte tunlichst weiterhören, denn in der zweiten Hälfte des Albums packen Leaves‘ Eyes so richtig aus. Sie spielen gekonnt mit ihrem persönlichen Sound, probieren Neues, und bleiben trotzdem immer ganz Leaves‘ Eyes.
Haben sie es nun geschafft, im Vergleich zu Vorgänger Meredead wieder einen drauf zu setzen? Jein. Ein paar Stücke sind dafür einfach zu nichtssagend. Die anderen machen Symphonies of the Night aber zu einem unbedingt anzuhörenden Album für Fans von Gothic und Symphonic Metal, allerdings nicht mehr oder weniger als das auch für Meredead gilt. Es ist etwas Neues, Frisches, Anderes. Interessante neue Themen werden gekonnt umgesetzt und erschaffen eine herrlich düstere, epische Atmosphäre – perfekt nicht nur für alte Fans sondern auch für Neueinsteiger in den Gothic/Symphonic Metal.
Vier von fünf Moschern gibt es wegen dem zu leisen Orchester und der Tatsache, dass meine extrem großen Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden, aber das ist wirklich Meckern auf hohem Niveau. Die typischen Leaves‘ Eyes Perlen sind auch auf diesem Album zu finden, und wem Meredead gefallen hat, der wird auch Symphonies of the Night lieben!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Anspieltips:
Éléonore de Provence
Symphony of the Night
Saint Cecelia

Leaves’ Eyes – Symphonies of the Night
Napalm Records, 2013

Kaufen!

www.leaveseyes.de

Tracklist:
01. Hell to the Heavens
02. Fading Earth
03. Maid of Lorraine
04. Galswintha
05. Symphony of the Night
06. Saint Cecelia
07. Hymn to the Lone Sands
08. Angel and the Ghost
09. Éléonore de Provence
10. Nightshade
11. Ophelia

Außerdem gibt es eine LTD/Digipack Edition mit 2 Bonustracks.

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